: Bulettenförmige Architektursauriere
■ Heute ist Richtfest in der Berliner Friedrichstraße / Wo vor kurzem noch faszinierende Baulöcher klafften, verstellen heute traditionssüchtige Klötze den Horizont / Wer will sich da einmieten?
Bulettenförmige Architektursaurier
Man hatte sich fast schon an das tiefste Loch in der Stadtmitte Berlins gewöhnt. Egal von welcher Seite man sich der größten Baustelle an der Friedrichstraße näherte, stets fiel der Blick in die Grube hinter dem Gendarmenmarkt. Auf rund 20.000 Quadratmetern war die Erde für die neuen Friedrichstadtpassagen aufgerissen, 18 Meter Tiefe verkleinerte die Bauarbeiter zu Ameisen, die 30.000 Tonnen Beton als Fundament gossen. Über ihnen war der Himmel so weit, wie er nur in Berlin sein konnte.
Nach beinahe zwei Jahren Bauzeit feiern heute die Friedrichstadtpassagen Richtfest. Bürgermeister Diepgen, Bausenator Nagel und Bundeswirtschaftsminister Rexrodt werden Reden halten.
Mit der spektakulärsten Grube Berlins ist es vorbei. Drei schwergewichtige Klötze heben sich aus dem märkischen Sand, die trotz einer Traufhöhe von nur 22 Metern den Himmel über Berlin bis auf schmale Lichtstreifen über den Straßenschluchten schließen. Die Friedrichstraße erscheint an dieser Stelle wieder eng und steinern wie auf jenen frühen Fotos, die den einstigen Wohn-, Geschäfts- und Vergnügungsboulevard als dichte, mythische Großstadtmeile darstellten.
Wie in den Monaten zuvor rissen sich auch an den Tagen vor dem Richtfest die Bauarbeiter auf den drei Baustellen gegenseitig die Knöpfe ab. Die Baustelle funktionierte nach Plan, dank einer Logistik, die die Bagger tanzen ließ. Mehr als 600 Handwerker ließen noch Stunden vor dem Fest die Kranwinden surren, hievten Betondecken im Akkord in das siebte Geschoß des „Quartiers 205“ und wuchteten quadratische Fassadenfertigteile im Schichtbetrieb vor das Betonskelett. Platte um Platte wurde eingepaßt und Stück für Stück die monotone Außenhaut des Büro- und Geschäftsblocks montiert. Man fühlte sich unweigerlich an die einstigen Plattenbauten erinnert, wenn man sah, wie der Kasten zusammengesetzt wurde.
Der Rohbau wachse im Schnellverfahren, von außen nach innen und von innen nach außen, sagt Marc Kimmich vom amerikanischen Investor Tishman Speyer Properties, der das „Quartier 205“ hochzieht. Während im Keller die letzten Fugen abgedichtet und auf dem Dach die Stahlmatten betoniert würden, „richten wir in der ersten Etage schon ein Modellbüro für zukünftige Büromieter ein, denn vom Zeichentisch weg kauft heute doch keiner mehr“.
Das „Quartier 205“ – jenes 250 Millionen-Projekt mit 50.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche (BGF) des Architekten Oswald Mathias Ungers – bildet den südlichen Teil des 1,4 Milliarden Mark teuren Gesamtprojektes Friedrichstadtpassagen, das für die Planungen in der historischen Mitte typologisch und ästhetisch prägend werden sollte. Für den Bürokoloß mit 120.000 Quadratmetern Fläche und ein paar wenigen Alibiwohnungen im Dachgeschoß waren 1991/92 die DDR-Friedrichstadtpassagen, das halbfertige Renommierprojekt im Plattenlook, abgerissen worden. Städtebauliche Rahmenbedingungen wurden festgezurrt, in denen Baufluchtlinien und Kubaturen auf die Wiederherstellung des historischen Stadtgrundrisses abzielten, die selbst Jean Nouvels modernen gläsernen Kristallpalast, das „Quartier 207“ der Investoren Roland Ernst/Galéries Lafayettes, in den altehrwürdigen Rahmen zwängten.
Fürwahr. Die Friedrichstadtpassagen stellen den Anfang und zugleich das Ende der sogenannten Berliner Architekturdebatte dar: Sie begann mit den hochfliegenden Plänen moderner Architekten wie Jean Nouvel, sie endete mit den engherzigen Blöcken, wie sie Oswald Mathias Ungers im „Quartier 205“ entwarf.
Engherzige Blöcke statt zeitgemäßer Architektur
Statt zeitgemäßer Architekturen und differenzierter Stadtbilder beleben seither traditionssüchtige Klötze die Reißbretter der Baumeister: kastrierte Bürohochhäuser mit langweiligen Fassaden für die Berliner Innenstadt, boulettenförmige Architektursaurier, einer wie der andere, mit tiefliegenden halböffentlichen Binnenräumen für Malls oder Passagen aus den internationalen Baukatalogen. Typische Berliner Architektur nennen das die einen, eine Schande die anderen.
Man täte vielen Architekten Unrecht, auch denen der Friedrichstadtpassagen, wollte man sie allein für die Biederkeit ihrer Möchtegern-Großstadtbauten verantwortlich machen. Es waren die Baubehörden des Berliner Senats, die ab 1992 mit Regeln und Vorgaben gegen den möglichen Wildwuchs architektonischer Investorenwünsche, aber auch mit sehnsüchtigen Blicken nach dem alten Berlin darauf bestanden, das historische Straßennetz, die Straßenbreite, die Traufhöhe von 22 Metern und die Dichte der Quartiere wiederherzustellen. Architektonische Bilder mit dem Charme des Modernen oder gar Experimentellen, wie sie in Wettbewerbsarbeiten 1991 und 1992 noch zu finden waren, sind längst den statischen Ansichten der Investoren-Container gewichen. Hans Stimmann, Berlins Baudirektor, verteidigt bis heute die Rekonstruktion der historischen Friedrichstadt sowie des barocken Stadtgrundrisses. „Selbstverständlich geht es nicht nur um die konservatorische Rekonstruktion von Städtebau, Architektur oder sozialen und ökonomischen Verhältnissen. Die Ebene, auf der die Wiederherstellung des historischen Zentrums organisiert wird, ist nicht die eines nostalgischen Stadtbildes, sondern die einer differenzierten Stadtstruktur.“
Schaut man sich Bauschilder entlang der Friedrichstraße an, scheint es aber kein Entrinnen mehr aus den Fesseln des historischen Berlins, der Monotonie von Schickimicki-Kästen und der Homogenisierung der baulichen und sozialen Strukturen zu geben. Es ist längst absehbar, daß das Großstadtleben in der monofunktionalen Bürowelt erstarren wird. Die Bauprojekte bleiben trotz der Aufteilung der Blöcke an verschiedene Architektur-Teams Monumentalanlagen für Geschäftsviertel. „Nicht Bau für Bau, ergänzend und fortführend, sondern in den Riesendimensionen solitärer Blöcke, Plätze und Viertel wird geplant“, kritisiert Dieter Bartetzko in der FAZ die Stadtentwicklung in Mitte.
In der Tat: nördlich der Friedrichstadtpassagen investiert die Hines-Gruppe (Hamburg) für einen wuchtigen 23.000-Quadratmeter-Klotz 300 Millionen Mark. Noch gigantischer der „Hofgarten am Gendarmenmarkt“, ein Hotel-, Gewerbe- und Bürokomplex mit 50.000 Quadratmeter BGF. Dafür fegten Josef Paul Kleihues, Jürgen Sawade, Hans Kollhoff und Max Dudler – die „Berliner Architektur-Mafia“ (Dieter Hoffmann- Axthelm) – mehrere Altbauten hinweg. Den Kunsthistoriker Heinrich Klotz erinnerte das Projekt zum Teil an das brutale Pathos der Speerschen Nazi-Bunker. Mehr oder weniger ganze Blöcke vereinnahmen auch die Projekte für das deutsch-französische Kulturzentrum an der Ecke Friedrichstraße/Straße Unter den Linden (44.500 Quadratmeter BGF) oder die 300-Millionen-Mark-Planung Kontorhaus Mitte, südlich der Friedrichstadtpassagen. Hinzu kommen Projekte an der Zimmerstraße für den Rossi-Block und das Mosse-Haus.
Zwischen Leipziger Straße und Unter den Linden ist die Friedrichstraße damit fast zugebaut, während an den Endpunkten der Meile noch die alten Lücken klaffen. Im Norden ist weder für Peter Eisenmans Glashochhaus noch für das Bahnhofsviertel am S-Bahnhof Friedrichstraße ein Baubeginn abzusehen. Und das Gegengewicht im Süden steht ebenfalls noch nicht: Seit 1993 prahlt das Bauschild der American Business Center GmbH am Checkpoint Charlie mit dem Versprechen, daß es nun bald losgehen soll mit dem 1,2 Milliarden-Ding. Aber nichts geschieht. Die fünf auf dem Papier fertigen Blöcke für eine Wohn-, Kunst- und Bürowelt liegen auf Eis, seit der Büromarkt in Berlin stagniert. „Aber wir werden bauen, ganz sicher, noch in diesem Jahr“, beruhigt der Pressesprecher Frank Schmeichel. Ob die Investoren das auch so sehen?
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