: Alte ausgeixt...
■ Schwulen-Reiseführer „Spartacus“: nett, verkniffen und heuchlerisch...
Er ist zu dick und zu schwer. Und wird deshalb und aus Gründen der Diskretion meist nur in kleinen fotokopierten Abschnitten benutzt. Die Rede ist vom „Spartacus Gay Guide“, dem globalen Kursbuch für Schwule. Ein Kneipen-, Bar-, Disco- und Saunaführer, der – körpernah transportiert – fast ebenso stark aufträgt wie ein Toastbrot und alle zwei Jahre erscheint. Der schwule Planet in fünf Sprachen, von Australien bis Zimbabwe, von Assuan bis Zürich, von der „Alvari“-Bar in Jyväskylä (Finnland) bis zum „Zippers“ in Baltimore (USA). Auflage: 65.000, Preis: 45 Mark für 1.060 Seiten.
Weil der „Spartacus“ ein Nachschlagewerk für die ganze Minderheit sein will („Exponent der weltweiten schwulen Gemeinschaft“) und vom Berliner Softporno-Verlag Bruno Gmünder herausgegeben wird, ist die Redaktion heftigst um politische Korrektheit bemüht. Und das ziemlich vergeblich, sowohl stilistisch als auch inhaltlich. Auf den ersten Seiten vorn beginnt das schon – bei den warmen Willkommensworten, der Aidspredigt und der Legende, die die verwendeten Abkürzungen erklärt (etwa „LJ“ für „Leder und Jeans“). Gleich der erste Absatz in Sachen Immunschwächekrankheit ist an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten. Reißerische Überschrift: „Aids – der Kampf hat gerade erst begonnen“. Überdeutlich wird, daß dieser Schreiber das Schreiben solcher Präventionstexte satt hat – „Aids ist in aller Munde: Man spricht darüber. Man ist betroffen. Man wirbt sogar damit. (Und fast scheinen manche dieser Krankheit überdrüssig.)“ Überdrüssig???
Bibel der Pädophilen
Schwülstig und sehr, sehr wortgewaltig kämpft der „Spartacus“ im Vorwort auch gegen Vorwürfe, für Sextouristen die „Bibel der Pädophilen“ zu sein. Urheber solcher Schuldzuweisungen seien „ignorante und dumme heterosexuelle Menschen, die nicht sehr viel über schwule Kultur wissen“. Dabei lehne der Verlag selbstverständlich „Ausbeutung in Formen wie Kinderprostitution, Kinderpornographie oder Kinderhandel als besonders verabscheuungswürdig ab“.
Empört beklagt sich der Verlag auch darüber, daß das Kneipen- und Clubkürzel „YC“ („Younger Crowd“) mißverstanden worden sei: „einzig und allein ein Hinweis auf junge Erwachsene“.
Freilich macht der „Spartacus“ im Kapitel Thailand ganz praktisch darauf aufmerksam, daß Mann auch mal nach dem Personalausweis fragen kann: „das buddhistische Jahr 2537 entspricht dem christlichen Kalenderjahr 1994“. Nicht ohne zuvor zu betonen, daß Prostitution in Thailand „eher als ein Austausch von Geschenken empfunden wird“. Folgt die Anzeige für den Nachtclub namens „Boys Boys Boys“.
Harmloser, aber kaum weniger peinlich sind die stimmungsvollen Sprachbilder über Land und Leute, Sitten und Gebräuche. Über einen australischen Bundesstaat steht zu lesen: „Den Queenslandern wird nachgesagt, sie seien einfach, entspannt, freundlich, sehr stolz auf ihren Staat und sein tropisches Klima. [...] Der Mr.- Gay-Queensland-Wettbewerb im Juli ist ein neues Ereignis und trägt wesentlich zur Entwicklung schwulen Stolzes bei.“
Und Germany? Was erfährt die „weltweite schwule Gemeinschaft“ über dieses Land? „Zwiespältig“ sei das Bild: einerseits „intakte schwule Szenen bis in die kleineren Großstädte hinein“, andererseits werden „Türken angezündet und Vietnamesen aus dem Land geprügelt“. Freilich „muß“ zwei Sätze weiter „angemerkt“ werden, daß „Ausländerhaß vor allem ein gesamteuropäisches Problem ist“. Und Deutschland ist schön wie in der Weizenbierreklame, seine Landschaft typisch, seine Bauwerke sind weltberühmt.
Bei so viel Verkürzung jetzt zu den bereits erwähnten Kürzeln, im „Spartacus“ vielversprechend „Codes“ genannt. Auch hier Verkniffenheit: „R“ bedeutet: „Hier verkehren auch Stricher“. Auch? Verkehren? Die doppelmoralische Entschärfung – fürs Gewissen oder die Polizei oder die Gewissenspolizei.
Bemüht freundlich klingt auch „OGX“. Was heißt: „Ältere sollten diesen Ort meiden“. Older Generation „ausgeixt“. Tja, da bleibt nur eins. Die schönen Inseln von Mikronesien, das „Paradies für ,Graue Panther‘“, wie es in einer der letzten Ausgaben von „Spartacus“ hieß.
PS: „PI“ bedeutet übrigens sinnigerweise „Swimmingpool“. Hans-Hermann Kotte
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