: Politik der Differenz
Neue Versuche einer politischen Philosophie der Gemeinschaft ■ Von Rüdiger Zill
Was ist das verbindende Band jener Philosophien der Differenz, die man so gern als „postmodern“ bezeichnet? Vielleicht, daß niemand sich von dem Begriff betroffen fühlt. Postmodern – das sind immer die anderen. Postmodern ist ein Label, das gegen die Intentionen ihrer Erfinder Karriere gemacht hat. Und so erscheint der Begriff auch bei Jean-Luc Nancy in der Distanzierung:
„Die ,Postmoderne‘ ist schon wieder vorbei, wenn es sie denn überhaupt gegeben hat. Genauer gesagt: was man mit dem Begriff ,postmodern‘ (nicht ohne eine gewisse Berechtigung) fassen oder formulieren wollte, ist nichts weiter als das kurze Aufblitzen, die Kehrseite eines anderen Ereignisses gewesen. ,Postmodern‘ meinte ein gespanntes, von Angst und Fröhlichkeit durchsetztes Verhältnis zu einer allgemein gewordenen Nicht-Darstellung: alles, was Sinn, Grund oder Wahrheit stiften konnte, blieb undargestellt. In erster Linie betraf dies natürlich jede Form von gemeinschaftlicher Substanz, sei sie nun als Subjekt der Menschheitsgeschichte oder als Subjekt des politischen Körpers verstanden. Mithin jede Form von Kommunismus.“
Daß es diese differenzphilosophische Beschäftigung mit der gemeinschaftlichen Substanz – oder besser dem Verbindenden der Gesellschaft – gleichwohl seit einiger Zeit gibt, das zeigt jetzt Joseph Vogl mit seinem Sammelband „Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen“.
In seiner Einleitung weist der Herausgeber darauf hin, daß sich diese Positionen nur vor dem Hintergrund dreier Problemkreise entfalten können. Der erste ist der jener (historischen) Grenze von Gemeinschaften, die Vogl im Anschluß an Derridas Rousseau-Interpretation als eine versteht, die immer schon überschnitten ist, wenn man sie berührt. Der zweite findet sich in der Tradition der Vertragstheorie, jener Fiktion, mit deren Hilfe man die Konstitution von Gesellschaften zu denken versucht und die nicht selten als antinomisch kritisiert wird. Den dritten schließlich bringt Vogl auf den Begriff der „Hypostasierung einer gemeinschaftlichen Substanz“; es geht dabei um eine „imaginäre Institution des Sozialen“, den „Raum einer wirkungsvollen Irrealtität“, kurz: um stark gefühlsbeladene Ideen, die die widersprüchliche Masse einer Bevölkerung zu einem Volk zusammenbinden sollen, Symbole, die etwas allen einzelnen wesentlich Gemeinsames behaupten. Vogl selbst erläutert das an der deutschen Geistesgeschichte, an Hölderlin und Fichte, an Herders „Volksgeist“ und an Novalis „Wir sollen ein Volk werden“.
Solchen „wirkungsvollen Irrealitäten“ gehen dann auf die je eigene Weise auch die meisten Aufsätze im ersten Teil des Bandes nach. Michel Foucaults Beitrag ist zum Beispiel ein weiteres Bruchstück aus seiner umfassenden Analyse der Machttechniken. Er untersucht darin unter anderem das Zusammenspiel von Gehorsam und Verantwortung im politischen Gleichnis vom Hirten und seiner Herde, das sich im frühen Christentum herausbildete. Jacques Rancière hingegen analysiert die verschiedenen Verwendungsweisen der Organismus-Metapher: Die Gesellschaft als Körper, ihre Bürger als seine Glieder, gleich und ungleich. Derjenige, der sich vielleicht am deutlichsten unmittelbar aktuellen Fragen, dem Nationalismus und der Fremdenfeindlichkeit, stellt, ist der slowenische Psychoanalytiker Slavoj Žižek. Žižek erklärt das Band einer Gesellschaft in einer gemeinsamen Beziehung zu einem „nationalen Ding“ im Lacanschen Sinne, ein „Ding“, das in einem bestimmten „way of life“ erscheint, in einer bestimmten Form, das Genießen zu organisieren. Der Fremde wird zum Feind, weil er dieses Genießen zu bedrohen scheint.
Am Anfang dieses ersten Teils steht aber ein Aufsatz der Anthropologin Nicole Loraux mit dem scheinbar paradoxen Titel „Das Band der Teilung“. Ihre Grundthese ist, daß das untergründig Verbindende der antiken Polis nicht in Symbolen der Gemeinsamkeit, sondern in der Trennung erschien. Es ist der gebändigte Konflikt, eine erstarrte, in der Schwebe gehaltene Auseinandersetzung, ein agon, der im Zentrum der Polis steht. Ihre Einheit ist das Zusammenfügen von Ungleichen.
Einen Begriff der Gemeinschaft und ein Konzept des Politischen, das sich vor allem auf die Idee der Differenz statt auf eine der totalitären Identität stützt, will Joseph Vogl auch für unsere moderne Gesellschaft verwirklicht sehen. Er möchte ein Denken voraussetzen, das sich dem Identitätszwang widersetzt „und ein äußeres Gebiet aufsucht, in dem das Band der Gemeinsamkeit zugleich Differenz der Individuen ist und das daher weder durch ein spekuläres Gesellschaftsmodell noch durch eine mystifikatorische Einheit repräsentierbar ist.“
Auf den Begriff der Gemeinschaft möchte Vogl gleichwohl nicht verzichten, dennoch müsse damit eine Gemeinschaft gemeint sein, die ihre eigene Unmöglichkeit garantiert, ein „Ort unwiderruflicher Kontingenz“. Das Mythische der Gemeinschaft, Vorstellungen einer Substanz, der Wahn einer Verschmelzung aller einzelnen zu einem höheren „Einen“ müsse gebrochen werden. Diese Gemeinschaft „vollzieht sich am ehesten vielleicht in einem ,In-der- Schwebe-Sein‘ singulärer Wesen.“ „Die singulären Wesen repräsentieren in dieser Hinsicht keinen Gegensatz zur Gemeinschaft und sind nur, insofern sie gemeinsam sind und schon kommunizieren, diese Kommunkation aber ist nichts als das Manifest ihrer Differenz.“
Dieser Konzeption sollen vor allem die Beiträge im zweiten Teil des Sammelbandes – der deutlich kürzer ausfällt als der „ideologiekritische“ erste – vorarbeiten. Sieht man ab von einem zweiseitigen Statement von Deleuze und einem Artikel von Vattimo, der die Gebundenheit der Hermeneutik an ein Gemeinschaftsideal zum Thema hat, stehen hierfür in erster Linie Jean-Luc Nancy, Jean- François Lyotard und Giorgio Agamben.
Dennoch sind nach all diesen Bemühungen von einer politischen Philosophie der Differenz vorerst weniger Positionen als Umrisse einer Problematik zu sehen. Deutlich wird zum Beispiel nicht, ob in dieser Balance singulärer Wesen die Fliehkräfte nicht schließlich überwiegen. Ebenfalls abzuwarten bleibt wohl, ob, was als Plädoyer „der Gemeinsamkeit all der Fremden, der Flüchtlinge, Heimatlosen, Immigranten und Asylanten“ angetreten ist, nicht als wohlfeiler Fahrplan für eine Gesellschaft von Singles endet. Das Programm solch einer „postmodernen“ Philosophie des Politischen kenntlich gemacht zu haben, ist aber Vogls Verdienst.
Joseph Vogl (Hg.): „Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen“, es 1881, 258 Seiten, 19,80 DM
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