■ Interview zu Reformen innerhalb der Polizei: Mit viel Emphase
Wie geht die Polizei nicht nur extern mit Rassismus um, sondern wie problematisiert sie dies intern? Ist sie bloßes Spiegelbild der Gesellschaft, und welche Antworten gibt sie auf die Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft? In seinem Debattenbeitrag „Schläger in Uniform?“ (taz vom 30.9.) meinte der „Kritische Polizist“ Jürgen Korell, der Polizeiapparat sei „nicht rassistisch, nicht fremdenfeindlich und auch nicht rechts“. Er sei aber auch nicht demokratisch, und dies gelte es zu ändern, u.a. durch Abbau von Hierarchien und auch durch den Aufbau einer interkulturellen Polizei.
Auch Manfred Murck, Leitender Wissenschaftlicher Direktor der Polizei-Führungsakademie Münster-Hiltrup, hält dies für nötig. An der Akademie werden PolizistInnen der mittleren und höheren Ebene ausgebildet.
taz: Ist die bundesdeutsche Polizei hinreichend auf die großen Herausforderungen der neunziger Jahre – Immigranten, rechte Szene, Verarmung breiter Gesellschaftsschichten, multikulturelle Gesellschaft – vorbereitet worden, oder hat sie nicht doch wichtige Entwicklungen verschlafen?
Manfred Murck: Gerade weil die Polizei mit vielen Auswirkungen unmittelbar konfrontiert wird, nimmt sie gesellschaftliche Fehlentwicklungen zumeist frühzeitig wahr. Die Tatsache, daß Kriminalität und andere Konflikte meistens wirtschaftlich-soziale Ursachen haben, gehört in der Polizei zum „Alltagswissen“. Es kommt dann allerdings darauf an, wie man die Phänomene einordnet und welche Konsequenzen man daraus zieht. Hier ist die Polizei stark von den Problemdefinitionen der politischen Führung abhängig. Für die Polizei-Führungsakademie kann ich sagen, daß wir die von Ihnen angesprochenen Probleme in den letzten Jahren intensiv behandelt haben. Insgesamt wünsche ich mir trotzdem einen größeren Austausch mit anderen gesellschaftlichen Bereichen, zum Beispiel den Universitäten.
Die Gefangenensammelstellen und Polizeiwachen in sozialen Spannungsgebieten sind sicherlich keine Begegnungsstätten, in denen Menschenliebe allzu üppig gedeihen kann. Wie kann der Bildung von Stereotypen und möglicherweise rassistischen Einstellungen der dort arbeitenden Beamten entgegengewirkt werden? Gibt es Modelle der Betreuung und Supervision?
Daß zumindest Teilbereiche der Polizei emotional stark belastet bis überlastet sind, ist aus verschiedenen Studien beziehungsweise Berichten bekannt. Die Polizei hat dem auch Rechnung getragen, etwa durch die Einführung umfangreicher Streßbewältigungsprogramme seit Anfang der achtziger Jahre. Es gibt auch gezieltere Maßnahmen für einige besondere Dienststellen, zum Beispiel Supervision für die SEKs im Land Nordrhein-Westfalen. Insgesamt sind diese direkten Formen der psychosozialen Betreuung jedoch Mangelware.
Die Polizei ist aber vermutlich nicht der einzige Dienstleistungsberuf, den man in schwierigen Situationen zu sehr allein läßt und wo Probleme tabuisiert werden. Alten- und Krankenpflege etwa dürften weitere Problemfelder sein. Vielleicht liegt dies (auch) daran, daß die in den Verwaltungsspitzen dominierenden Juristen keinen professionellen Zugang zu solchen Problemen haben.
Was hindert die politisch und polizeiintern Verantwortlichen in Deutschland bis in die Gegenwart daran, mit dem Problem Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der Polizei ebenso offensiv umzugehen, wie das zum Beispiel in den Niederlanden und Großbritannien der Fall ist?
Fairerweise sollte man berücksichtigen, daß die Ausgangsbedingungen für diese Probleme in den Niederlanden und in Großbritannien etwas anders waren als bei uns. Denn dort spielt die Frage der Staatsbürgerschaft kaum eine Rolle, während sich bei uns mehr oder weniger alle Beteiligten der Illusion hingeben konnten, wir seien keine Einwanderungsgesellschaft. Mit allen negativen Konsequenzen für die öffentliche Meinungsbildung und die staatliche Infrastruktur.
Gleichwohl hat es auch in Großbritannien eine Weile gedauert, bis man wirklich offen war und offensiv reagiert hat. Wir haben es wohl mit der bekannten Mischung aus Wahrnehmungspsychologie, politischer Trägheit und schlichter Angst, unangenehme Dinge auszusprechen, zu tun. Und es gibt die nicht ganz unberechtigte Sorge, durch öffentliche Kritik die Polizei insgesamt in ein falsches Licht zu rücken. Polizei ist in Deutschland nach wie vor ein besonders schwieriges Thema, Polarisierungen geschehen schnell.
Die großen Wirtschaftsunternehmen führen seit Jahren Antirassismusseminare für ihre Mitarbeiter durch. Bei der Polizei beschränkt man sich in der Regel darauf, interkulturelle Handlungskompetenz mit dem Besuch einer Synagoge, einer Moschee und unter Umständen eines Vernichtungslagers zu wecken – etwas wenig für den harten Polizistenalltag vor Ort. Welche weiterreichenden Konzepte der antirassistischen Bildungsarbeit wurden entwickelt/sind im Entstehen, werden angedacht?
Wenn das wirklich alle großen Wirtschaftsunternehmen für alle Mitarbeiter machen würden, wären wir schon ein Stück weiter! Innerhalb der Polizei wird das Thema bei vielen Aus- und Fortbildungsveranstaltungen angesprochen, ein geschlossenes Konzept gibt es meines Wissens bisher jedoch nicht. Die Europäische Union hat ein umfassendes Programm angeregt, in das auch die Polizei einbezogen werden wird. Im Kern kommt es nach meiner Auffassung darauf an, nicht nur Wissen und abstrakte Einsichten zu fordern und zu vermitteln, sondern „Empathie“, das heißt Verständnis und Einfühlungsvermögen zu ermöglichen.
Dies erfordert vor allem persönliche Kontakte und kontinuierliche Kommunikation mit den betroffenen Bevölkerungsgruppen. Dabei ist nicht nur die Fortbildung, sondern vor allem die Mitarbeiterführung im täglichen Dienst in der Verantwortung.
„Ausländer in die Polizei“ – diese Forderung gilt manchen als Allheilmittel. Ist die interkulturell zusammengesetzte Polizei per se die bessere?
Es gibt viele gute Gründe, daß die Polizei Bürger ausländischer Herkunft (und gegebenenfalls Staatsbürgerschaft) einstellt. Und zwar in einer auch wirklich spürbaren Größenordnung. Auch dies wird aber nicht ohne Probleme bleiben, es wird Rollenkonflikte und Abwehrmechanismen geben. Das ist zum Beispiel eine Erfahrung aus Großbritannien. Kurzfristig ist die Einstellung von Ausländern allerdings kaum mehr als ein politisches Signal, denn es wird ja mehrere Jahre dauern, bis sie ausgebildet sind und den Dienst aufnehmen können.
Wie sollten Untersuchungskommissionen, die den Vorwürfen rassistisch und fremdenfeindlich motivierter Übergriffe nachgehen, besser zusammengesetzt sein?
Untersuchungskommissionen müssen unabhängig sein und Sachverstand haben. Das könnte im gegebenen Fall heißen, daß ausländische Bürger repräsentiert sind. Ich bin aber nicht sicher, ob Untersuchungskommissionen das richtige Mittel sind. Mir wäre Kontinuität in der Aufarbeitung der Probleme und der Umsetzung von weiteren Konzepten lieber. Interview: Eberhard Seidel-Pielen
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