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„Dunkle und hinterlistige Praktiken“

■ Wei Jingsheng, Chinas bekanntester Dissident, wird derzeit „umerzogen“

Berlin (taz) – Die chinesische KP, so schrieb Chinas bekanntester Dissident Wei Jingsheng einmal, sei zu keinem neuen Denkansatz mehr fähig, der es ihr ermöglichte, erneut gesellschaftliche Anerkennung zu finden. Daher erschöpften sich „ihre Kontrollmechanismen in dunklen, hinterlistigen Praktiken“.

Das will die Parteiführung in Peking offenbar nicht auf sich sitzen lassen. Sie ließ den seit der Demokratiebewegung von 1978/79 auch im Ausland bekanntgewordenen Wei vor einem halben Jahr verschwinden.

Jetzt tauchte Wei wieder auf – zumindest in einer Regierungserklärung. Vor Hongkonger JournalistInnen erklärte Chinas Vize-Justizminister Zhang Geng letzten Montag, Wei bereise gerade einige wirtschaftlich entwickelte Gebiete Chinas. Damit wolle man ihm „die Veränderungen durch den wirtschaftlichen Aufbau seit der Reform und Öffnung zeigen“. Die Reisen gehörten zu einem Umerziehungsprogramm. Die Regierung in Peking erhofft sich von dieser Maßnahme bessere Chancen für ihre Olympiabewerbung.

Erst 1993 war Wei Jingsheng nach 14jähriger Haft in Gefängnissen und Arbeitslagern unter der Auflage freigekommen, sich jeder politischen Betätigung zu enthalten und sich von ausländischen Journalisten fernzuhalten. Wei gelang es, sich überraschend schnell mit den wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen vertraut zu machen. Innerhalb kürzester Zeit wurde er zu einem Anlaufpunkt für die zerstreute Dissidentenszene in China. Seine genauen Analysen der chinesischen Politik machten ihn zu einem begehrten Gesprächspartner auch ausländischer Besucher.

Als Wei sich im vergangenen Frühjahr mit dem US-Unterstaatssekretär John Shattuck traf und die USA davor warnte, ihre Forderung nach besserer Achtung der Menschenrechte in China aufzugeben und von der Gewährung von Handelspräferenzen abzukoppeln, griffen Chinas Behörden wieder zu.

Am 1. April 1994 verschleppten ihn Polizisten und stellten ihn an einem unbekannten Ort unter Hausarrest. Seine MitarbeiterInnen wurden ebenfalls festgenommen. Obwohl der Vizeminister jetzt behauptete, Wei habe in Kontakt mit seiner Familie gestanden, erklärte Weis Vater gestern gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, er habe seit seinem Verschwinden nichts von seinem Sohn gehört.

Jutta Lietsch

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