: Achtzig Jahre stubenrein
■ Die Bremer Vogelschau präsentiert: Rotflankenbrillenvogel und Papas Alpträume
Kennen Sie dieses Gefühl: Man betritt etwas verspätet und deshalb in Eile einen Raum, man möchte sich unter die Leute mischen, aber irgendetwas stimmt nicht. Warum diese fragenden Blicke, schnell schaut man an sich runter, nein, man ist nicht im Schlafanzug erschienen. Dann der Augenblick des Verstehens: Auf jedem Schulternpaar der etwa einem Dutzend Anwesenden sitzt ein großer grüner Vogel, nur man selbst hat keinen. Obgleich plötzlich irgendetwas auch am eigenen Ohr zu picken scheint.
Es ist schwierig, den Mitgliedern des Vereins Bremer Vogelliebhaber konzentriert Fragen zu stellen, weil einem dabei immer vier Augen aufmerksam folgen: zwei Vogelaugen und zwei Menschenaugen. Soviel aber ist zu erfahren: An diesem Wochenende ist in der Bremer Stadthalle die Vogelschau zu sehen mit Hunderten von Vögeln aus aller Welt. So zum Beispiel Elsa und Werner, die sprechenden Beos; Gelbwangen-Amazonen, die früher Rotstirnamazonen hießen und allem farblichen Anschein nach auch gut Blaukronen- oder Grünbauchamazonen heißen könnten. Sie erreichen ein biblisches Alter von bis zu 80 Jahren und können mit ihrer Fähigkeit, stubenrein zu sein und Türrahmen zu Kleinholz zu machen, zu lieben Hausgenossen werden.
Gilt die alte Weisheit, daß jedes Herrchen seinem Hündchen gleiche, auch beim Blauschnäpper und den neuseeländischen Kapuzenloris? Bei Pudel, Boxer oder Dackel lassen sich unschwer Herrchen oder Frauchen vorstellen. Suchte man Parallelen beim Federvieh, wäre man nur zu leicht versucht, von den etwas kautzigen ZüchterInnen auf eine Zucht von stoischen Eulenvögeln zu schließen. Weit gefehlt: Unter den Piepmätzen in der Stadthalle herrscht ein großes Zwitschern und hektisches Geflattere, was auf ihre Ziehväter und Ziehmütter nicht zutrifft.
Nicht weit von der Voliere ostasiatischer Rotflankenbrillenvögel, die in ihrem Bewegungsdrang an Kinder am Mittagstisch erinnern, sucht das „Tier des Jahres 1994“ nach sumpfigen Wiesen. Selten hat man die Möglichkeit, den heimischen Storch aus solcher Nähe zu betrachten.
Hartgesottenen ist ein Blick auf das muntere Treiben von Python und Vogelspinne in ihren Terrarien zu empfehlen: Zum erstenmal wurde dieses Jahr die Vogelschau um eine Sonderschau von Reptilien und Amphibien erweitert, sehr beeindruckend – man freut sich über die Stabilität der Käfige. Vor allem der noch vorurteilsfreie Nachwuchs wird sich hier an der Vielfalt des Lebens erfreuen – und nebenher Papas Alpträume kennenlernen. Nur in einem müssen sich Groß und Klein vertrösten lassen: Krokodile hat man aus Termingründen (sie hatten zu kurzfristig davon erfahren) in diesem Jahr noch nicht zeigen können.
Felix Röpcke
Die Vogelschau ist am Samstag von 10.00-18.00 Uhr und am Sonntag von 9.00 bis 17.00 geöffnet
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen