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Wo ist der Amtsstempel von Derno?

Mustafa Gürkan, Vorsteher des Kurden-Dorfes Derno, wird seit sechs Wochen vermißt / In einem Interview deckte er die Zusammenarbeit von türkischen Medien und Militär auf  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Mehrfach hatten wir ihn gewarnt: „Du darfst nicht gehen. Sie werden dich ermorden.“ Er hat nicht auf uns gehört. Er fuhr zurück in seine kurdische Heimat. Seit über sechs Wochen ist er nun spurlos verschwunden. Bauern wollen beobachtet haben, wie er von Soldaten in einen Helikopter gezwängt wurde. Wahrscheinlich ist Mustafa Gürkan, Vorsteher des Dorfes Derno in der Provinz Diyarbakir, ein toter Mann.

Ich habe Mustafa Gürkan zuerst im Fernsehen gesehen. „Aufstieg und Niedergang der PKK“ hieß die Sendung, die Ende Juli im türkischen Privatsender atv lief. Die Macher der Sendung wollten ganz im Sinne der herrschenden Ideologie vorführen, daß das Rückgrat der kurdischen Guerilla PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) gebrochen ist. Als Interviewpartner wurde Dorfvorsteher Gürkan vorgeführt. „Die PKK steckt unsere Dörfer in Brand; die PKK ist bald am Ende“, sagte Gürkan.

Schon damals kam mir das Interview nicht geheuer vor. Man konnte sich denken, daß die Aussagen unter Drohungen erzwungen worden waren. Doch die Wahrheit war grausamer als die Vermutung. Ende Juli spürten Kollegen der Istanbuler Tageszeitung Özgür Ülke Mustafa Gürkan in den Slums der südöstlichen Millionenstadt Adana auf. Soldaten der türkischen Armee hatten sein Dorf Derno in Brand gesteckt. Gürkan war anschließend tagelang auf einer Gendarmeriewache gefoltert worden. Das Intermezzo der Folter war das Fernsehinterview – eine Koproduktion von Reporter, Kameramann, Offizieren und Folterern. In allen Details packte Gürkan in Özgür Ülke aus. Gürkans Aussagen legten nicht nur Zeugnis von dem dreckigen Krieg, den die türkische Armee in den kurdischen Regionen des Landes führt, ab, sondern auch von der Niederträchtigkeit der türkischen Medien, die sich freiwillig in den Dienst der Kriegspolitik stellen. Der Zeuge Gürkan mußte zum Schweigen gebracht werden. In einem Land, wo Todesschwadronen ungestraft Regimekritiker ermorden, ist auch für Zeugen wie Gürkan kein Platz.

Ich traf Mustafa Gürkan am 2. August in der Parteizentrale der kurdischen „Demokratiepartei des Volkes“, die die Nachfolge der verbotenen „Partei der Demokratie“ angetreten hat. Die Parteizentrale in Ankara glich mehr einem großen kurdischen Kaffeehaus denn dem politischen Hauptquartier einer Partei. Ich kannte keinen einzigen Funktionär der Partei. Die uns Journalisten bekannten Gesichter der kurdischen Opposition sind aus der Politik herausgedrängt. So die Abgeordneten der „Partei der Demokratie“, die im Gefängnis sitzen und für die der Oberstaatsanwalt des Staatssicherheitsgerichtes Ankara die Todesstrafe fordert. So die Abgeordneten der Partei, die ins Exil nach Westeuropa gingen, um ihrer Festnahme zu entgehen. So unzählige Funktionäre, die uns einst Informationen lieferten und von Todesschwadronen ermordet wurden. Unter eingerahmten Fotos ermordeter kurdischer Oppositioneller schlürften wir Tee mit Mustafa Gürkan, der aus Sicherheitsgründen in die Hauptstadt Ankara gebracht worden war, nachdem seine Aussagen in Özgür Ülke veröffentlicht worden waren.

Ein Interviewpartner, der lügt, ist leicht auszumachen. Gürkan hat nicht gelogen. Er hat nichts verdreht und nichts verschnörkelt. Mit sprichwörtlicher Naivität hat er die Fragen beantwortet. Am Nachmittag des 6. Juli hörten die Bauern des Dorfes Derno drei Schüsse. Ein vierstündiges Donnern von Maschinengewehren, Kanonenwerfern und Mörsern folgte. PKK-Guerilleros seien in den Bergen, hieß es im Dorf. Eine stille Nacht folgte. Als die Bauern von Derno erwachten, sahen sie, wie Rauchschwaden in den Himmel stiegen – dort, wo das Nachbardorf gelegen war. Angst, daß auch Derno in Brand gesteckt würde, breitete sich aus. Bauern versuchten ihr Hab und Gut aus ihren Häusern zu tragen. „Ich habe sie daran gehindert. Ich habe ihnen gesagt, daß unser Dorf in Sicherheit ist“, sagte Gürkan. Er hatte gute Gründe: „Sechzehn junge Männer aus unserem Dorf dienen bei der türkischen Armee. Warum sollte die Armee unser Dorf anstecken?“

Gürkan täuschte sich. Gegen Mittag kamen die Soldaten. „Alle, Alte, Männer, Frauen und Kinder, mußten sich versammeln. Sie pickten mich und drei weitere Männer heraus. Unsere Hände wurden auf dem Rücken gefesselt. Am Kanal des Dorfes steckten sie unsere Köpfe ins Wasser. Ich dachte, ich ertrinke. Ich bin bewußtlos geworden.“

Als Gürkan erwachte, lag er bäuchlings mit nacktem Oberkörper auf dem heißen Gestein und Sand entlang des Kanals. Er hörte, wie der Oberstleutnant, der die Truppe anführte (Codename: Malkoc), den Befehl erteilte, das Dorf anzustecken. Gürkan sah nicht, wie Derno in Flammen aufging. Er hörte nur das laute Knistern des Feuers, das die 45 Häuser mitsamt den 300 Tonnen Weizenernte in Schutt und Asche legte.

Gürkan wurde auf die Gendarmeriewache Topcular gebracht. Fünf Tage lang wurde er Opfer ungeheuerlicher Folterpraktiken. „Ich spuckte Blut“, sagte Gürkan. Nach seiner Freilassung hat die „Demokratiepartei des Volkes“ ein ärztliches Attest einholen lassen. Die Folter hatte Funktionen der Lunge zerstört, zwei Rippen waren ihm gebrochen worden. Nach fünf Tagen Folter wurde er gewaschen. Man bot ihm sogar eine Zigarette an. Gürkan wurde zurechtgemacht für das Fernsehinterview, das im Hof des Gefängnisses stattfand. Mehrere Tage nach dem Interview wird Gürkan freigelassen. „Ich habe geweint, als ich das verbrannte Dorf gesehen habe.“ Die vierzig Großfamilien – über vierhundertdreißig Menschen – lebten mittlerweile in den Slums der Millionenstadt Adana. Dort fand Gürkan auch seine Familie.

Nie werde ich vergessen, wie er während unseres Gespräches aus seiner Tasche einen amtlichen Stempel zog. Dorfvorsteher wie er sind in der Türkei faktisch verbeamtet und nehmen die Rolle der Meldebehörde ein. Gürkan bewahrte den amtlichen Stempel, den die türkische Republik für das Dorf Akcayurt (Derno) herausgegeben hatte.

Gürkan zuckte zuerst die Achseln, als ich fragte, was er mit dem Amtsstempel nun vorhabe. Dann rief er erregt: „An den Staat zurückgeben. Ihr habt das Dorf verbrannt. Der Stempel wird nicht mehr benötigt.“ Die grauenhafte Wahrheit öffentlich Journalisten mitzuteilen hat Gürkan wahrscheinlich den Kopf gekostet. Vielleicht bewahren seine Mörder nunmehr den Amtsstempel des Dorfes Derno, das mit Feuer aus der Geschichte getilgt wurde, auf.

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