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Tote für das Kinderzimmer

China ist zum größten Spielwarenproduzenten der Welt aufgestiegen / Internationale Gewerkschaften rufen zum Boykott auf  ■ Von Hugh Williamson

Berlin (taz) – Als Lo Chiu Chen vor Gericht gestellt wurde, schrieben die westlichen Zeitungen nur über seine schlechte Behandlung im Gefängnis, über das Besuchsverbot für seine Angehörigen und darüber, daß er ohne Schuhe zum Prozeß kommen mußte.

Das Verbrechen, das ihm vorgeworfen wurde, war leider fast vergessen. Lo Chiu Chen hatte die Sicherheitsbestimmungen in seiner Spielwarenfabrik Zhili Handicrafts mißachtet. Bei einem Brand kamen 84 Menschen ums Leben.

Lo Chiu Chens Fabrik liegt in Shenzhen, der Sonderwirtschaftszone in der Nähe von Hongkong. Die internationale Spielwarenbranche mit ihrem Umsatz von 40 Milliarden Dollar hat diese Gegend für sich endteckt. China produziert heute mehr Spielzeuge als irgend ein anderes Land. Die Provinz Guangdong, wo Shenzhen und viele andere Sonderwirtschaftszonen liegen, ist das Zentrum der Branche. Mindestens ein Drittel der Spielwaren, die in aller Welt verkauft werden, sind hier hergestellt worden.

Das noch britische Hongkong übernimmt den Vertrieb. Von hier aus wurden 1993 Spielwaren im Werte von 12 Milliarden Mark exportiert. Deutschland, das seinerseits Marktführer in Europa ist, läßt sich zum größten Teil aus China mit Plastikpuppen, Puppenzubehör, Spieltieren, Spielmusikinstrumenten, motorisierten Spielwaren und Spielpistolen versorgen.

Die berühmten Namen – Fisher Price, Hasbro, Tyco und Mattel aus den USA und Europa, Bandai und Tomy aus Japan – verraten die Herkunft der Produkte fast nie. Die Konzerne verlassen sich auf Zulieferer und Lizenzverträge, die dann die Exklusivrechte zur Produktion unter dem Markennamen erhalten. Die Vertragslieferanten wiederum, die zum größten Teil aus Hongkong und Taiwan kommen, vergeben ihrerseits Kontrakte über ganz Asien. Die Firmen der Hongkonger Spielwarenindustrie beschäftigen mittelbar mindestens 120.000 Arbeiter in Südchina.

Inzwischen häufen sich die Nachrichten über miserable Löhne und erschreckende Arbeitsbedingungen. Freie Gewerkschaften sind verboten. Der von der Kommunistischen Partei kontrollierte Allchinesische Gewerkschaftsbund ist Chinas einzige legale Arbeitervertretung. Wilde Streiks und die Bildung von Untergrundgewerkschaften nehmen jedoch zu. Im letzten Jahr haben die Beschäftigten bei Kader, einem Spielwarenvertragsgeber aus Hongkong, Arbeitsbedingungen und eine Erhöhung der Tageslöhne von 90 Pfennig auf 2,70 bis drei Mark erstreikt – im Mai 1993 waren bei Kaders thailändischem Vertragsunternehmen 189 Arbeiter ums Leben gekommen.

In Hongkong fordern Gewerkschaften in einer langfristig angelegten Kampagne „Sicherheitsrichtlinien“ für Spielwarenvertragsgeber in China und ganz Asien. Gewerkschaften in den USA und Europa rufen zum Boykott von Spielwaren aus China auf. Nell Kearney, Generalsekretär des Internationalen Bundes der Textil-, Bekleidungs- und Lederarbeiter in Brüssel, sagt: „Man kann China nur beeinflussen, wenn man den Markt für Produkte schließt, die unter solch schrecklichen Bedingungen hergestellt wurden.“

Lo Chiu Chens „Zhili Handicrafts“, ein Joint-venture zwischen Hongkong und China, war ein typischer Fall. Über 400 hauptsächlich junge Frauen haben Stofftiere unter dem italienischen Markennamen „Chicco“ angefertigt. Die Arbeitstage waren lang, für etwa 72 Mark monatlich mußten die Frauen häufig auch am Wochenende arbeiten.

Am Abend des 19. November 1993 löste ein elektrischer Kurzschluß einen Brand aus, der sich durch das Gebäude fraß, in dem sowohl die Arbeitsstätten als auch die Schlafräume lagen. Die Arbeiterinnen waren, fast unvorstellbar, eingeschlossen. Nur einer von vier Ausgängen war geöffnet, die Fenster waren mit Maschendraht gesichert. Auf der Flucht erstickten viele der Opfer, verbrannten oder wurden zu Tode getrampelt.

Die Behörden von Shenzhen hatten Lo gewarnt – seine Fabrik hatte keinen Feueralarm, keine Sprinkler oder Feuerwehrschläuche und keine Notausgänge. „Die Anlage selbst war nach dem inzwischen berüchtigten Muster ,3 in 1‘ gebaut“, berichtet Wong Wai Ling vom Asia Monitor Resource Center in Hongkong. „Die Werkstätten, das Lager und die Schlaf- und Eßräume lagen sämtlich im selben Gebäude – ein großes Feuerrisiko, besonders wenn sich auf dem Gelände leicht brennbare Materialien befinden.“

Die offiziellen Statistiken berichten von 28.200 Fabrikbränden in den ersten zehn Monaten 1993, bei denen 1.400 Menschen ums Leben kamen und über 50.000 verletzt wurden. Über 15.000 tödliche Arbeitsunfälle sind 1992 registriert (neuere Daten gibt es nicht). Die wahre Zahl ist wahrscheinlich viel höher, meinen Experten. Allein in Shenzhen nahm 1992 die Zahl der Todesfälle um 173 Prozent zu.

Brände sind keineswegs das einzige Problem. Vergiftungen durch Chemikalien und Dämpfe sind häufig. 81 Menschen wurden 1993 in Guangdong in drei verschiedenen Spielwarenfabriken vergiftet; drei von ihnen starben später.

Nach der Katastrophe bei Zhili erließ die Provinzregierung schärfere Gesetze, darunter Normen für den Feuerschutz, für Notausgänge und Ventilation. Sie verbot auch Fabrikgebäude nach dem Muster „3 in 1“. Lee Cheuk Yan, der Vorsitzende des Gewerkschaftsverbandes von Hongkong, bleibt trotzdem skeptisch: „Es gibt zwar die Bestimmungen, aber wenn die Sicherheitsinspektoren sich bestechen lassen, werden die Arbeitgeber sich nicht darum kümmern, und wir werden auf die nächste Katastrophe nur zu warten brauchen“, sagte Lee in diesem Januar.

Er brauchte nicht lange zu warten. Am 4. Juni brach der Schlafsaal in dem „3 in 1“-Komplex der Xiecheng Plastics Spielwarenfabrik in Shenzhen zusammen und tötete elf Menschen.

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