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Poker um UN-Sanktionen

■ Vier Jahre nach dem Überfall auf Kuwait läßt der irakische Diktator Hussein erneut Soldaten an der Grenze des Ölemirats aufmarschieren. Er verfolgt das Ziel, die UN-Sanktionen aufzuweichen und die eigene ...

Vier Jahre nach dem Überfall auf Kuwait läßt der irakische Diktator Hussein erneut Soldaten an der Grenze des Ölemirats aufmarschieren. Er verfolgt das Ziel, die UN—Sanktionen aufzuweichen und die eigene Herrschaft zu stabilisieren.

Poker um UN-Sanktionen

Die an der Grenze zu Kuwait aufmarschierten irakischen Divisionen signalisieren, daß Saddam Hussein im Inneren des Landes zusehends in Bedrängnis kommt. Vier Jahre Sanktionen und fünf Wochen Krieg gegen die Alliierten forderten auf irakischer Seite mehrere hunderttausend Opfer, darunter tausende Kinder und Kranke, die nicht mit den notwendigen Medikamenten versorgt werden konnten. Monatelange Geheimverhandlungen mit den früheren Kriegsgegnern – einschließlich Israel – scheiterten bisher am Veto der USA. Entgegen den Begehrlichkeiten von Geschäftsleuten in Frankreich, Rußland, der Türkei, Deutschland und Japan, die sich in Bagdad mittlerweile die Klinken in die Hände geben, ist die US-Regierung offenbar entschlossen, Saddam Hussein bis ans Ende seiner Tage als Paria zu behandeln.

Saddam Hussein, der „Schlächter von Bagdad“ hat nur noch stumpfe Klingen. Nach Einschätzung von US-Militärexperten sind von der einst mit einer Million Soldaten sechststärksten Streitkraft der Welt nach dem Ende des zweiten Golfkrieges noch 400.000 Soldaten übriggeblieben. Ausstattung und Moral der Truppe sind – abgesehen von den Eliteeinheiten der „Republikanischen Garden“ – lausig. Die Garden braucht Saddam Hussein im Jahre vier nach dem Einmarsch in Kuwait vor allem aber zu seinem Machterhalt. Die irakische Armee ist auch geschwächt, weil Saddam Hussein in panischer Angst vor einem Putsch eine „Säuberungsaktion“ nach der anderen startet. Mehrere hundert Offiziere starben seit Kriegsende an irakischen Erschießungsmauern, darunter auch engste Vertraute und Verwandte Husseins.

Der militärische Generalstab in Israel reagierte gelassen auf die Nachrichten aus dem Irak. Für Israel – im letzten Golfkrieg auch Ziel irakischer Raketen – bedeutet Saddam Hussein keine Bedrohung mehr. Die meisten von irakischen Technikern modifizierten sowjetischen Scud-Raketen sind heute schrottreif. Die einst bedrohlichen Massenvernichtungswaffen Husseins sind nach Darstellung des obersten UN-Inspekteurs im Irak, Rolf Ekeus, mittlerweile „weitestgehend zerstört“. Und den verbliebenen nur teilweise einsatzfähigen 180 irakischen Kampfflugzeugen standen am Wochenende über 200 routinemäßig in der Region stationierte Flieger der einstigen Alliierten gegenüber. Seit dem neuem irakischen Truppenaufmarsch werden es stündlich mehr.

Unter solchen Umständen einen Krieg mit dem Nachbarstaat Kuwait und damit den USA einzugehen, wäre für Saddam Hussein unter gängigen militärischen Gesichtspunkten Selbstmord. Auch wenn Hussein als „irrer Diktator“ bezeichnet wird, ein Suizid ist ihm kaum zuzutrauen. Statt eines heroischen Abgangs suchte er den Machterhalt – bisher um jeden Preis. Gerade deshalb ist er durchaus in der Lage, wie im letzten Krieg am Golf, Tausende seiner Untertanen in das sichere Verderben zu schicken, vorausgesetzt, es dient den eigenen Interessen. Ein kurzfristiger Überfall auf einen Teil Kuwaits ist daher, trotz aller militärischen Aussichtslosigkeit, jederzeit denkbar.

Das Szenario für den Fall weiterer irakischer „Provokationen“ ist bereits in Geschichtsbüchern nachzulesen: Als 1993 irakische Flugzeuge die von den Alliierten erklärten Schutzzonen im Norden und Süden Iraks verletzten, Iraker in kuwaitisches Gebiet eindrangen und Waffen stahlen, irakische Flugabwehrkanonen US-Kampfflugzeuge anpeilten und irakische Soldaten Raketen in die Nähe der südlichen Verbotszone verlegten, detonierten von US-Flugzeugträgern im Golf abgefeuertete Cruise Missiles im Zentrum von Bagdad. Damals starben mehrere Zivilisten – Saddam Hussein blieb unbehelligt und an der Macht.

Einzige Alternative zum Status quo und zu dem von Husseins früheren Geschäftspartnern sehnlichst erwarteten Vor-Golfkriegszustand scheinen die von den meisten irakischen Oppositionellen geforderten UN-Aktivitäten im Inneren Iraks zu bieten. So wie UN-Inspekteure die Zerstörung von irakischen Massenvernichtungsmitteln kontrollierten und Überwachungskameras an den geheimsten irakischen Rüstungsschmieden installierten, müßten Mitarbeiter der Weltorganisation dafür sorgen, daß irakisches Öl unter UN-Aufsicht gefördert, exportiert und von dem Erlös anschließend Lebensmittel und Medikamente für die Bevölkerung angeschafft werden. Mit ebensolcher Vehemenz, mit der UNler bisher darauf bestanden, in Bagdader Ministerien Geheimakten durchstöbern zu dürfen, müßten sie auf Einlaß in den zahlreichen Gefängnissen des Landes bestehen.

Die Forderungen nach einer Intervention innerhalb Iraks sind so alt wie Saddam Husseins Herrschaft selbst. Seitdem er 1979 die Macht an sich riß, appellieren Oppositionelle an die internationale Öffentlichkeit, dem Morden im Zweistromland ein Ende zu setzen. Selbst Berichte vom Genozid an den irakischen Kurden fanden 1988 kaum Beachtung. Erst als irakische Truppen am 2. August 1990 die Grenze zu Kuwait überschritten und mit dem Ölemirat mittelbar US-amerikanische und europäische Interessen bedrohten, fand sich eine internationale Allianz bereit einzugreifen.

Als Saddam Hussein nach der Vertreibung der irakischen Truppen aus Kuwait, seine Militärs auf die aufständische irakische Bevölkerung losließ, war die Allianz bereits wieder desinteressiert. In der irakischen Opposition verfestigte sich der Eindruck, ihr Schicksal sei international nur dann von Bedeutung, wenn mittelbar ausländische Interessen berührt werden. Die Tatsache, daß Saddam Hussein nun wieder weltweit auf den Fernsehschirmen erscheint, weil er seine Truppen in Marsch setzt, bestätigt diese Wahrnehmung. Thomas Dreger

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