■ Saddam Hussein zieht seine Truppen vor Kuwait zurück
: Das Geiseldrama geht weiter

Der Theaterdonner ist verklungen, der letzte Vorhang gefallen. Bis zum nächsten Auftritt können die Akteure unbeachtet ihr Tagewerk verrichten ... Die irakischen Truppen würden von der Grenze zu Kuwait abgezogen und „an andere Orte“ verlegt, sagte Iraks UN-Botschafter, Nisar Hamdun. Wer die „Republikanischen Garden“ kennt, den muß diese Ankündigung erschaudern lassen. Wo immer die Elitetruppe Husseins bisher auftauchte, hinterließ sie blutgetränkte und häufig verbrannte Erde.

Doch das Buch zum Drama muß von einem Zyniker verfaßt worden sein. Ausgerechnet „Republikanische Garden“ machten in den letzten Tagen auf das drängendste Problem der von ihnen unterdrückten irakischen Bevölkerung aufmerksam: Das seit dem Überfall auf Kuwait im August 1990 gegen Irak verhängte internationale Embargo verbietet praktisch alle Importe, ausgenommen die von Medikamenten und Lebensmitteln. Aber während es Saddam Hussein und seinen Getreuen derzeit an Luxus nicht mangelt, fehlen der irakischen Bevölkerung gerade die von den Sanktionen ausgenommenen lebensnotwendigen Dinge. Weil die irakische Führung die IrakerInnen als Geiseln gegenüber der Welt genommen hat und sich weigert, sie mit dem Erlös von zu UN-Konditionen verkauftem Öl zu versorgen, und weil die internationale Staatengemeinschaft davor die Augen verschließt, sterben Tausende Menschen, darunter viele Säuglinge und Kinder. Die irakische Opposition – sonst heillos zerstritten – verlangt unisono eine Aufhebung der Sanktionen unter strenger UNO-Kontrolle. Ihre Forderung: Medikamente, Verbandsmittel, Infusionen, Vitamine und Brot sollten an der irakischen Führung vorbei und notfalls unter Einsatz von Waffen im Irak verteilt werden.

Für die verbliebenen Reste der westlichen Linken beginnt an diesem Punkt jenes Dilemma, das sich spätestens seit dem zweiten Golfkrieg an den „Krisenherden“ der Welt auftut: Die einen – empört über die ungehindert begangenen Greuel – verlangen eine „humanitäre Intervention“. Die anderen – mißtrauisch ob der in der Vergangenheit aufgrund eigener Schandtaten in Verruf geratenen Adressaten dieser Forderung – empören sich über „Interventionismus“ und „Imperialismus“. Unterdessen entscheiden diejenigen, die tatsächlich die Macht dazu haben, an Regierungssitzen und im UN-Sicherheitsrat nach Regeln der Pragmatik und globaler Deals. Für die knapp 20 Millionen IrakerInnen bedeutet das: Ihr Land bleibt weiter unter Embargo und der Herrschaft Saddam Husseins. Währenddessen dürfen für die Zeit nach den Sanktionen Geschäftsleute und Politiker um die Gunst des Diktators buhlen. – Jedenfalls bis zum nächsten Theaterdonner ... Thomas Dreger