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Die japanische Regierung plant mit einem neuen industriepolitischen Großprojekt den höchsten Bau der Welt. Für den mindestens 700 Meter hohen Turm sollen neue Technologien entwickelt werden. Auch ökonomisch strebt Japan damit eine Vorreiterrolle in der Bauindustrie an. Aus Tokio Georg Blume

Höher als der Fujiyama

Im 21. Jahrhundert wird Asien wichtigster Wirtschaftsraum der Welt sein, darüber sind sich die Ökonomen einig. Doch inmitten des Booms fehlt den Asiaten bis heute das symbolische Meisterwerk, welches die neue Epoche verkörpert. Das Empire State Building schaffte den Ruhm Amerikas im 20. Jahrhundert. Der Eiffelturm erinnert an Europas Führungsrolle im 19. Jahrhundert. Was aber fällt Asien fürs nächste Jahrhundert ein?

Die Frage beschäftigt Regierungsplaner, Architekten und Ingenieure in fast allen Hauptstädten Ostasiens. Vom Jin-Mao-Tower in Shanghai über den Nina-Tower in Hongkong bis zum Petronas- Tower in Kuala Lumpur sind überall neue Großprojekte im Gespräch. Doch weil es dabei auch um Rekordinvestitionen für die privaten oder öffentlichen Auftraggeber geht, wuchsen die Pläne im finanzstarken Japan bisher am weitesten. Die Anstrengungen konzentrieren sich dabei auf eine alte Rekordmarke des Westens: den 447 Meter hohe Sears-Tower in Chikago, das höchste Haus der Welt. Die Frage ist nur: Wie lange noch?

Seit letzter Woche lautet darauf die Antwort des japanischen Bauministeriums: bis etwa 2015. Denn zum ersten Mal hat die japanische Regierung jetzt einen konkreten Plan vorgelegt, wie sie bis dahin das höchste Gebäude der Welt in Tokio errichten will.

Tatsächlich ist die Idee nicht neu und stammt nicht einmal aus den Schubladen der japanischen Regierungsbürokraten. Schon seit langem gibt es gigantomanische Ideen. Seit 1990 verbreitet Taisei, eines der führenden Bauunternehmen des Landes, die Vision für ein Haus, das größer und höher als Japans höchster Berg, der Fujiyama, sein soll. Das „X-SEED 4000“ Projekt würde 4000 Meter hoch sein und bis zu 700.000 Menschen einen Wohnort und Arbeitsplatz bieten. Das Fundament des künstlichen Hausberges könnte auf einem See oder im Ozean schwimmen. Allerdings sagte Taisei auch eine Bauzeit von mindestens dreißig Jahren und Kosten von 1,5 Billionen Dollar voraus.

Realistischere Projekte gibt es auch. Alle größeren Baufirmen in Japan entwarfen seit Anfang der Neunziger eigene Konzepte für den Rekordbau in Tokio. Obayashi bemühte den britischen Architekten Norman Foster, der mit dem 750 Meter hohen Millennium- Turm die bislang bekannteste Projektidee entwarf. Um sich allen Bauvorschriften der Stadt zu entziehen, schlug Foster vor, den Turm unmittelbar über der Bucht von Tokio zu errichten, von wo aus er nur mit Fähren und über eine Brücke zu erreichen wäre. Foster glaubt, daß seine Pläne keine Zukunftsmusik, sondern sofort umsetzbar seien.

Der Baugigant Shimizu entwickelte zunächst die „TRY 2004 Space City“, einer Pyramide aus 204 Einheiten mit 800 Hektar Grundfläche, 2.000 Meter hoch und bewohnbar für 1 Million Menschen. Weil das dann doch etwas zu weit gedacht schien, präsentierte das Unternehmen im letzten Jahr bescheidenere Pläne für ein 600 Meter hohes Gebäude, den „Shimizu Super Highrise“, der sich eher an die konventionellen Vorstellungen von einem Wolkenkratzer hält. Diese Vorlagen gelten bei Branchenkennern inzwischen als realistisch und kommerziell tragbar. Allerdings fehlt auch Shimizu bislang der Auftraggeber.

Seismographen und Computer gegen Erdbeben

Dabei steht wohl die alte Angst der Japaner vor der großen Erdbebenkatastrophe im Wettstreit mit dem Glauben an die unbegrenzten Möglichkeiten moderner Technologie. Erst 1968 wurde in Tokio das erste Hochhaus mit bescheidenen 36 Stockwerken fertiggestellt, die durchschnittliche Stockwerkhöhe in der 30-Millionen-Metropole liegt noch heute bei weniger als drei Etagen.

Moderne Hochbauten gelten zwar als erdbebensicher, weil sie auf elastischen Konstruktionen beruhen, die angeblich biegsam wie Bambus sind. Doch für höhere Bauten reicht diese Bauweise nicht aus, weil den Menschen in den oberen Etagen ständig schwindelig werden würde. Als Alternative entwarf die Baufirma Kajima deshalb ein von Seismographen und Computern gesteuertes System, das den Schwerpunkt eines Gebäudes verlagern kann, indem Wasser aus gewichtsstrategisch eingerichteten Tankvorrichtungen in Reaktion auf Erschütterungen aus- oder eingelagert wird.

Der alles entscheidene Grund für die Unzahl der himmelhohen Träume und ihre bislang spärlichen Verwirklichungschancen liegt freilich beim Verfall der japanischen Land- und Aktienpreise und der anschließenden Rezession. Denn die Pläne der Bauriesen wurden durch den immensen Kapitalreichtum während des Tokioter Aktienbooms geboren. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet: Die japanische Wirtschaft leidet an Kreditmangel. Die bis Anfang der neunziger Jahre stetig steigenden Landpreise, auf denen die meisten Spekulationen beruhten, sind in den Zentren der großen Städte um rund ein Drittel gefallen. Weil aber damit das wirtschaftliche Klima für neue Rekordbauten derzeit ausgesprochen ungünstig ist, greift nun die Regierung ein: „Auch wenn die meisten Pläne Kopfgeburten der Spekulationsjahre sind, haben die Baufirmen darin viel Arbeit investiert“, erkennt Hitoshi Ashi, Planungsexperte im Tokioter Bauministerium, „sie alle unbenutzt zu lassen, wäre eine Schande“.

Der vorläufige Name des neuen Großprojektes: „High-Rise-Metropolis“. Es soll immerhin noch 1.000 Meter hoch sein und 13.000 Menschen Platz für Arbeit und Leben bieten. Keinesfalls würde es sich nur um einen Geschäftspalast handeln, beteuern Nippons Baubürokraten. Der Rekordbau, auf den die Welt nur noch zwanzig Jahre warten muß, soll auch ein Theater und ein Krankenhaus, Schulen und ein Sportzentrum beherbergen. Ganz oben im Himmel würden die Menschen schließlich nach Feierabend ihre Privatwohnungen beziehen.

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