: Die gefälschten Volleyballer
Chinesische Übermacht, stürzende Prinzessinnen, geleimte Präsidenten und trickreiche Einwanderer bei den Asienspielen in Hiroshima ■ Von Matti Lieske
Berlin (taz) – Schon jetzt hat es sich für China gelohnt, daß der verlockende Gedanke, mal wieder die alte Tradition des Sportboykotts aufleben zu lassen, vor den Asienspielen verworfen wurde. Mehr als 100 Goldmedaillen haben die Sportlerinnen und Sportler aus dem Reich der Mitte bei der Veranstaltung in Hiroshima bereits gewonnen und ihre sportliche Vormachtstellung in Asien mehr als eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Da läßt sich die störende Anwesenheit einiger Repräsentanten aus Taiwan relativ leicht verschmerzen.
Weniger leicht fällt den Funktionären der Umgang mit den Dopingvorwürfen, die angesichts der chinesischen Dominanz auch bei den Asienspielen blühen wie tausend Blumen. „Ich glaube, bis zu einem gewissen Grad ist das Rassismus“, sagt Wu Shaozu, Präsident des chinesischen NOK. Wenn es in Europa Dopingfälle gebe, werde schließlich auch nicht ganz Europa an den Pranger gestellt. Doch weder überraschende Kontrollen der chinesischen Sportlerinnen und Sportler jener Disziplinen, in denen ihre Überlegenheit am eklatantesten ist – Leichtathletik und Schwimmen –, noch die hilfreiche Intervention des mächtigen Herren Juan Antonio Samaranch konnte das Mißtrauen dämpfen. Der IOC-Präsident verwies auf die hohe Bevölkerung des Landes, das daher logischerweise mehr Spitzensportler hervorbringe, die chinesischen Funktionäre führen das unbestritten immense Trainingspensum an, den „zähen Charakter der chinesischen Frauen“ und die Naturmedizin, die Wunderelixiere wie den auf frischem Schildkrötenblut, Ginseng, Honig und diversen Kräutern beruhenden Trank des Lauftrainers Ma Junren hervorbrachte.
„Mas Armee“ werden seine Läuferinnen ziemlich unschön genannt, seit sie bei der WM in Stuttgart in einer dem Mannschaftszeitfahren der Radfahrer nicht unähnlichen Formation der Konkurrenz davonliefen. Außer bei Großereignissen lassen sie sich kaum in der Öffentlichkeit blicken, sondern trainieren wie die Berserker unter den Fittichen ihres berühmt-berüchtigten Coachs. Es liege im chinesischen Gesellschaftssystem, daß Frauen „ohne Murren“ das tun, was Männer verlangen, sagt die zweifache Kugelstoßweltmeisterin Zhihong Huang, gleichermaßen auffällig durch ihre Körperfülle und ihr beständiges herzliches Lachen. Männer hätten von den rauhen Sitten in den chinesischen Trainingszentren nach wenigen Tagen die Nase voll und gingen einfach nach Hause, darum seien sie auch nicht so erfolgreich. Aber auch die Karrieren der Frauen dauern nur kurz. „Auf die Dauer hältst du das bei uns nicht aus“, sagt Huang. Sie hat sich dem Drill klugerweise entzogen, lebt mittlerweile in England und kann sich sogar den Luxus erlauben, auf die Asienspiele zu verzichten.
Auch ohne die voluminöse Kugelstoßerin regnete es für China Medaillen in Hiroshima, obwohl Ma Junrens Läuferinnen auf ihre geliebten Schildkröten verzichten müssen. Die Einfuhr lebender Tiere nach Japan ist verboten, und vor Ort sind die Viecher einfach zu teuer. So müssen sie sich mit dem Trunk bescheiden, den der geschäftstüchtige Krötenkiller Ma Junren mittlerweile serienmäßig herstellen läßt. Schon neun Millionen Flaschen hat er in China verkauft und schickt sich nun an, den Weltmarkt zu erobern.
Die Überlegenheit der Chinesen, die nicht mal mehr vor Golf und Tennis zurückschrecken, ist natürlich ein schmerzhafter Dorn im Fleisch der Gastgeber, die zudem möglicherweise erleben müssen, daß ihnen die Südkoreaner auch noch den zweiten Rang ablaufen. Südkorea stellte ausgerechnet im Lande der Sumo-Monster zum Beispiel den stärksten Mann Asiens: Kim Tae-Hyun, der daheim sinnigerweise in einer Schokoladenfabrik arbeitet, siegte beim Gewichtheben der Superschwergewichtler.
Für die anderen asiatischen Nationen blieb naturgemäß nicht allzuviel übrig. Tadschikistans Fußballer bezwangen sensationell China, dafür gingen die Baseballspieler der Mongolei bei ihrem internationalen Debüt mit 0:21 gegen Südkorea unter. Prinzessin Haya, Tochter von Jordaniens König Hussein, fiel beim Reitturnier vom Pferd, und auch der glorreiche philippinische Sieg beim Schwimmen erwies sich als kleiner Scherz. Nachdem Präsident Fidel Ramos voller Stolz ein pompöses Glückwunschtelegramm nach Japan gesandt hatte, mußte er erfahren, daß seine Schwimmerin Akiko Thomson leider mit fünf Sekunden Rückstand Letzte geworden war. „Das ist ein offensichtlicher Affront gegen die Glaubwürdigkeit, Würde und Integrität des Präsidenten“, tobte Ramos und sandte Detektive aus, um den Spaßvogel ausfindig zu machen, der ihn so derb reingelegt hatte.
Neun Athleten aus Nepal, Pakistan und Sri Lanka werden inzwischen vermißt, die japanischen Einwanderungsbehörden argwöhnen, daß diese längst irgendwo illegal in Lohn und Brot stehen. Manch findiger Bewohner ärmerer asiatischer Länder versucht nämlich, die Invasion von 7.900 Sportleuten und Funktionären sowie der zugehörigen Fans zur illegalen Einreise zu nutzen. So wurde eine Gruppe „griechischer“ Sportfreunde am Flughafen von Hiroshima allein durch die Sprachkenntnisse eines Beamten enttarnt, der feststellte, daß kein einziger aus der Gruppe Griechisch sprach. Wenig Glück hatten auch 15 burmesische „Fußballfans“ mit gefälschten Pässen, und der kühne Versuch einer 56köpfigen Delegation in Trainingsanzügen, sich als komplette Volleyballmannschaft der Philippinen auszugeben, schlug ebenfalls fehl. Dabei fiel weniger ins Gewicht, daß die Philippinen gar keine Volleyballer gemeldet hatten, als die Tatsache, daß die männlichen und weiblichen Mitglieder der Gruppe für Volleyballer allesamt verdammt klein waren. „Sie haben sich einfach die falsche Sportart ausgesucht“, sagte ein japanischer Zollbeamter kopfschüttelnd.
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