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Sind Börsianer genauer als Demoskopen?

■ Jetzt auch in Deutschland: Wahlbörsen spekulieren mit Parteiaktien

Die Idee stammt aus den USA. Wenn die Kurse der Aktiengesellschaften an Börsen die Erwartungen über zukünftige Gewinne dieser Gesellschaften widerspiegeln, dann müsse es auch möglich sein, so die Überlegung von Ökonomen der Iowa State University, über politische Aktienbörsen den „Marktwert“ von politischen Parteien zu ermitteln. Bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen erzielten die Erfinder der Wahlbörse 1988 einen spektakulären Erfolg. Am Wahlabend deckte sich der Wert der Kandidatenaktien bis zur zweiten Stelle hinter dem Komma mit dem tasächlichen Resultat für Bush. Bei seinem Herausforderer lagen die politischen Broker nur um zwei Zehntel daneben. Alle demoskopischen Wahlprognosen waren schlechter.

Auch in Deutschland sind die Parteien käuflich. Studenten und Professoren an den Universitäten in Bochum, Essen und Regensburg kaufen und verkaufen seit Mai dieses Jahres Aktien von CDU, SPD, FDP, Grünen, PDS, Reps und „Sonstigen“ an computerisierten Wahlbörsen. Für jeweils eine Mark können Aktienpakete mit je sieben Einzelaktien erworben werden. Höchsteinsatz: 1.000 Mark. Börsenschluß ist der 15. Oktober, 24 Uhr. Der endgültige Zweitstimmenanteil am Wahlabend entscheidet dann über den Wert der jeweiligen Aktie. Käme etwa die SPD auf 38 Prozent, läge der in DM ausgedrückte Gegenwert bei 0,38 DM je SPD Aktie. Wer das SPD-Papier für weniger als 0,38 DM gekauft hat, macht Gewinn. Da sich die Zweitstimmenanteile zu 100 Prozent addieren, handelt es sich insgesamt um ein Nullsummenspiel. Die Kurse sind seit Mai relativ stabil geblieben. An der Ruhruniversität Bochum investierten 405 Teilnehmer 29.000 Mark in die Parteiaktien. Einen starken Einbruch erlebte allein die SPD nach der Europawahl. Davon konnten sich die Sozis nach den Worten des Bochumer Projektleiters Joachim Weimann „bisher nicht mehr erholen“. Alle anderen tagespolitischen Ereignisse sind laut Weimann trotz regen Handels „relativ spurlos an der Wahlbörse vorbeigegangen“.

Vor fünf Tagen notierte die Wahlbörse folgende Kurse: CDU 40,9; SPD 35,2; Grüne 8,0; FDP 6,2; PDS 4,4; Reps 2,2; sonstige 3,1. Ziemlich konstant blieb das Zutrauen der akademischen Broker in die FDP. Nie fiel die klassische Partei aller Couponschneider unter fünf Prozent.

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