piwik no script img

Im Bauch von Berlin

Markthallen in Hülle und Fülle – Von der Nummer I am Alex bis zum Marheinekeplatz  ■ Von Caroline Roeder

„Da thronten die schwerbeweglichen Weiber, Priesterinnen der käuflichen Ceres, Marktweiber aller Feld- und Baumfrüchte, aller eßbaren Vögel, Fische und Säuger, Kupplerinnen, unantastbare strickwollene Kolosse ... Brodelte, quoll und schwoll es nicht unterm Saum ihrer Röcke? Warf nicht in ihrem Schoß ein Marktgott selber die Ware ...“ – nicht Günter Grass murmelt hier unter kaschubischen Röcken, sondern es ist Walter Benjamin, der von seiner Markthalle am Magdeburger Platz schwärmt. Denkt man dabei an die vier heute noch bestehenden Markthallen in Berlin, beschwört man die guten alten Zeiten.

Sechzehn Stück gab es, 1867 wurde die erste eröffnet. Das Grundstück lag zwischen Schiffbauerdamm und Friedrichstraße, die Innengestaltung war an die legendären Pariser „Les Halles Centrales“ angelehnt. Doch nur ein halbes Jahr später mußte sie wegen zu geringen Umsatzes wieder geschlossen werden.

Dennoch war das Markthallenprojekt noch nicht begraben, denn die rund zwanzig Wochenmärkte von Berlin reichten zur Versorgung mit Lebensmitteln bei weitem nicht aus. Zudem waren die hygienischen Verhältnisse bei den offenen Ständen nicht die feinsten. Durch den Bau der Stadtbahn Anfang der 80er Jahre war es möglich, die Waren direkt in die Innenstadt anzuliefern. 1886 wurde die erste Zentralmarkthalle an der Neuen Friedrichstraße, nahe dem Alexanderplatz, eröffnet; dreizehn weitere Markthallen sowie eine zweite Zentraleinrichtung folgten bis 1893.

Statt mit Namen versehen, wurden die Hallen preußisch durchnummeriert. Der Nummer I am Alexanderplatz – die Berliner nannten sie „Bauch von Berlin“ – waren zusätzlich die Räume unter den Viaduktbögen der Stadtbahn angegliedert, sechs Druckwasserfahrstühle sorgten für den schnellen Warenumschlag. Zwar sollten die Hallen keinen Profit erwirtschaften, sondern sich selbst tragen, dennoch waren die Standmieten oft zu hoch für die kleinen Händler der Wochenmärkte: Die Hökerinnen und die Gangbaren, die mit Bauchladen umherzogen, wurden beschäftigungslos.

Südländische Verhältnisse herrschten damals: der Detailhandel war vom frühen Morgen bis 20 Uhr am Werktag, sonnabends sogar bis 21 Uhr geöffnet, mittags waren drei bis vier Stunden Siesta angesagt. Sehr deutsch dagegen das Hallenaufsichtspersonal in schicken blauen Uniformen, das ab 1901 verbeamtet wurde. Es sorgte unter anderem dafür, daß „müßiges, zweckloses Stillstehen, wodurch die freie Passage gehindert und bei etwaiger Ruhestörung der Zusammenlauf vergrößert wird“, unterblieb.

Doch es gab noch größere Gefahren für die Hallen: Die Lebensmittellagerung zog Ratten an. In der Marheinekehalle war darum Katzenhaltung erlaubt. Um ihnen das Jagdrevier zu erschließen, entfernte man die Lattenroste, was wiederum eine Katzenplage zur Folge hatte. Erst die Terrier der Kammerjäger machte dem regen Zooleben ein Ende.

Doch auch wirtschaftliche Faktoren bedrohten die Lebensmitteltempel. Die Standorte der Hallen waren nach Wohngebieten ausgewählt worden, doch nicht alle setzten sich durch. Konkurrenz bekamen sie auch durch um die Jahrhundertwende entstandene neue Kaufhäuser, die bessergestellte Einkäufer abwarben. Die Wirtschaftskrise, die Weltkriege, die Berlin-Blockade wirkten wegen der damit verbundenen Lebensmittelknappheit existenzbedrohend. Was im Zweiten Weltkrieg nicht den Bomben zum Opfer gefallen war, verschwand aufgrund der Abrißwut der 60er Jahre.

In einem kleinen Buch hat Thorsten Knoll die Geschichte der Markthallen zusammengetragen. Er hat sich nicht nur mit der Chronologie beschäftigt; Knoll war auch unterwegs, um die Überbleibsel der Hallen zu suchen. Das Ergebnis ist nicht ein reich bebilderter Bücherschrankband, sondern ein echtes Sachbuch, mehr für Wissensdurstige angelegt als für olfaktorische Schwärmer.

Thorsten Knoll: „Berliner Markhallen“. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung, 110 Seiten, 19,80 Mark.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen