: Der Mann kann nicht tanzen
■ Die Wahlkampfausklangsparty des bündnisgrünen Direktkandidaten für Kreuzberg/Schöneberg Christian Ströbele begann so partyuntypisch wie sie endete
Der Wahlkampf war lang und anstrengend. Auch unser Kandidat hatte so an die 150 Veranstaltungen erledigen müssen. Ein großer Spaß war das nicht, denn notwendigerweise endet man irgendwann in Leerformeln, die um so mehr nerven, wenn auch der Kandidat, der sie spricht, sie als Leerformeln erkannt hat und doch weitersprechen muß. Das gehört nun einmal dazu, wenn man nach Bonn will für Kreuzberg.
Zur Wahlkampfausklangsparty hatte Christian Ströbele jedenfalls am Donnerstag abend ins Kato am Schlesischen Tor geladen. Um Politik sollte es nur am Rande gehen, gefeiert sollte werden statt dessen. Ein wenig selbstironisch wollten sich die Grünen einem Publikum präsentieren, das Politik nicht mehr ganz so ernst nimmt.
Doch kaum jemand war zu Beginn der Erststimmenparty gekommen. Kein Wunder, begann sie doch etwas partyuntyisch bereits um sechs. Einige wären wohl auch noch bei der PDS, sagte unser Kandidat, denn die beendete ein paar hundert Meter weiter ihren Wahlkampf. So war es eher traurig, wie Ströbele im fast leeren Saal Hand in Hand mit ein paar Freunden zur kurdischen Musik volkstanzte. Ströbele kann nicht tanzen. Das weiß er auch. So tanzt er, als wolle er mit seinen linkischen Tanzschritten sagen: Ich bemühe mich wenigstens. Und ein bißchen besser als vor ein paar Wochen geht's auch schon, und mehr Spaß als Wahlkampf bringt es auch. Sagt unser Kandidat.
Auf der Bühne währenddessen machten „Edith & Hotte“ allerlei Unsinn, der notorische Kreuzberger Dr. Seltsam verlas lustig-vermischte Nachrichten. „Ströbi“, wie sie ihn hier nennen, mußte schnell noch zu einem anderen Termin im Osten (siehe Bericht unten). In zwei Stunden käme er wieder.
Wahlbürger um die dreißig berichteten unterdessen im zugigen Vorraum von diesem und jenem. Bei der PDS-Kundgebung am Mariannenplatz wären sehr viele Rentner gewesen, passend dazu hätte man vor den Reden Agitpop von „Ton-Steine-Scherben“ gespielt, und Stefan Heym mit seinem „blöden Lindenberghütchen“ sei ein arrogant eitler Sack geworden. Zwei WahlbürgerInnen & Kind fanden Ströbele „ganz klasse“, ärgerten sich aber sehr über gelbe „Fragekarten“, auf denen man seine Fragen an den Kandidaten notieren sollte. Die wollte er dann später auf einem „heißen Stuhl“ beantworten. Auf den gelben Karten stand: „Ich hab' da mal 'ne Frage an Hans-Christian Ströbele.“ So ein Satz sei doch „völlig ätzend“. Während viele der Ströbele-Fans auch Gysi wählen, verzichtete eine junge Busfahrerin ganz auf die Zweitstimme. Bei der Briefwahl hätte sie zwar versucht, neben Ströbele auch irgendeine Partei anzukreuzen, doch alles in ihr hätte sich dann gesträubt.
Ähnlich „verarscht“ fühlte sich auch der missionarisch ununterbrochen agitierende Altfreak „Werner“, der Wahlen „Scheiße“ findet und demnächst eine Partei gründen möchte, bei der es ausschließlich darum geht, Diäten abzukassieren. „Wir sind ehrlich. Uns geht es nur ums Geld, und das sagen wir auch.“
Die türkische Band „Dergah“ spielte derweil sehr tanzbare Weltmusik. Irgendwann forderten sie die Zuschauer auf, doch zu tanzen. Tische und Stühle wurden zwar weggeräumt, doch tanzen tat keiner. So klaffte statt dessen zwischen Bühne und Zuschauern ein trauriges Loch. Irgendwie schien mir das symptomatisch für die alternative Partykultur zu sein.
Ein bißchen unwohl schien sich auch der schnell wieder hergeflogene Ströbele zu fühlen, als er auf dem „heißen Stuhl“, einem alten Sessel, meist lustig gemeinte WählerInnenfragen in einem Satz beantworten sollte. Ob er mit irgendeiner Schulklasse zweimal im Monat „den Wald aufräumen“ wolle, weshalb er häufig verschiedene Socken trage, ob er sich freue, wenn Bayern München verliere („Ja“), ob er in Gudrun Ensslin verliebt gewesen sei („Sag' ich nicht.“), was er in Sachen Hasch- Legalisierung unternehmen wolle („Indem ich meine Hose rauche, die ist nämlich aus Hanf.“), drei Gründe, Grün zu wählen: „1. Damit ich in den Bundestag komme. 2. Damit ich schneller in den Bundestag komme. 3. Damit Joschka Fischer Außenminister wird.“
Politikerwitze kannte er nicht. An den politischen Fragen mogelte er sich vorbei. Lange zierte er sich, als die Gruppe „Dergah“ ihn dazu aufforderte, bei einem Lied mitzusingen. Dann tat er's doch. „Der Arme, was er mit sich so machen lassen muß“, bedauerte ein Zuschauer traurig. Die anrührendste Szene der Party, die endete, wenn andre erst beginnen, war, als Christian (Ströbele) den anderen Christian (Specht) zärtlich zur Begrüßung in die Arme schloß. Das ist unser Mann! Detlef Kuhlbrodt
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