: Rote Bayernkönige
Mit dem Bayern-Fanclub „Red Kings“ auf großer Fahrt ins Münchner Olympiastadion ■ Aus Memmingen Albert Hefele
Bei Busfahrten ist es immer das gleiche. Die, die ganz hinten sitzen, machen den meisten Radau. Wenn der Bayern-Fanclub „Red Kings“ auf Tour geht, ist das nicht anders. Zwar dürfen auch einige Damen, brave Familienväter und Gelegenheitsschlachtenbummler mit, ganz hinten haben sie aber nichts zu suchen. Denn da ist das Reich von Typen wie Heppe und Bene. Hinten trägt man knollige Basketballtreter oder nadelspitze Cowboystiefel zu den Jeans. Meterlange Schals und unzählige Aufnäher auf der Weste: „Bayern ist eine Religion“ oder „Uns zieht keiner die Lederhosen aus“. Aber auch „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“. aGanz hinten wird das erste „Oleee, oleee!“ schon angestimmt, wenn der Bus noch keinen Meter gefahren ist. Weil: man ist schon frühzeitig lustig.
Natürlich nicht wirklich. Ob Heppe und Bene manchmal fröhlich sind, im eigentlichen Sinne des Wortes, ist fraglich. Es handelt sich eher um den verzweifelten Versuch, ein ihnen eigentlich fremdes Gefühl herzustellen. Lustig sind Menschen, die grimassenschneidend aneinanderlehnen und sich wechselweise mit gereckter Flasche zum Trinken animieren. So stellen sich Typen wie Heppe und Bene die Fröhlichkeit vor. Darum haben sie auch schon vor der Busfahrt ein bis drei Biere trinken müssen, weil so ganz ohne fühlen sie sich den Anforderungen der ihnen drohenden Geselligkeiten nicht gewachsen.
Treffpunkt ist wie immer eine kleine Kneipe mit harten Holzbänken und großen Tischen. Dahinter, mit hochgezogenen Schultern wie ertappte Schulbuben, die Clubmitglieder. Manche tragen frisch gebügelte, künstlich schimmernde Trikotimitate. Lex Rimmler auch. Er ist der Chef des Fanclubs und Herr über das Kartenkontingent. Sein großes, bleiches Gesicht mit dem dürren, schwarzen Bärtchen schwebt wie eine matte Leuchtreklame über den Wartenden. Lex betreibt das Geschäft seit über zehn Jahren. Er kennt sich aus. Mißtrauisch hütet er die Stehplätze, wie ein Zerberus bewacht er die wenigen Sitzplätze, ernsthaft trägt er das Bayern-Dreß. Oft kann er einen gewissen Mißmut nicht unterdrücken, weil manche die Bedeutung seiner Mission nur ungenügend zu würdigen wissen. Dann händigt Lex Rimmler die Karte mit Verzögerung aus, als ob er es sich noch überlegen müßte, im letzten Moment.
Einige seiner Schäfchen machen, wie sie so eintrudeln, einen mehr als unsportlichen Eindruck. Viele sind unrasiert und blicken gequält aus geröteten Augen, die sie sich am Vorabend eingehandelt haben. Das stigmatisiert sie aber keineswegs als charakterlose Saufbolde, es verhilft ihnen mehr oder weniger eindeutig dazu, der geachtete Mittelpunkt des Interesses zu werden. Oberflächlich höhnt die Gesellschaft zwar über den derangierten Zustand der Neuankömmlinge, eigentlich wird ihnen aber volle Zustimmung und Bewunderung für praktiziertes Mannestum signalisiert: „A Hund isser scho ...“ Darum müssen die so Gelobten auch, als hätten sie schon wieder Durst, listig schmunzelnd ein großes Bier bestellen, das sie unter komischem Lamentieren in sich hineingießen. Lex Rimmler kann da nur verzweifelt-wohlwollend das Präsidentenhaupt schütteln.
Harte Fans haben ein seltsames Verhältnis zum Gerstensaft. Von Genuß ist eigentlich nie die Rede. Bier wird „weggeschluckt“ oder „vernichtet“, wie eine bittere, aber notwendige Medizin. Die Flasche wird wie der Beschwörungspuschel eines neuguineischen Medizinmannes geschwungen und ist der eineiige Zwilling der unablässig qualmenden Zigarette in der anderen Hand. Glücksbringer und Krücke, unverzichtbares Werkzeug, um klingelnde Rituale von Kameradschaft und Mannbarkeit abzufeiern. Gesang gehört ebenfalls dazu. Heppe, Bene und die anderen kennen natürlich jeden der Imponier- und Schmähchöre und verabreichen sie, kaum daß sie im Bus sitzen, sehr laut und wenig tonsicher der unfreiwilligen Zuhörerschaft. Die Mitreisenden verfolgen das Treiben im Heck zwiespältig. Manche tun so, als ob sie nichts hören und sehen, andere schielen fast neidisch nach ihren extrovertierten Kollegen. Immerhin können sich Unentschlossene rasch Mut antrinken, denn die Bierversorgung ist vorzüglich organisiert. Alle paar Meter steht ein Kasten im Gang, der von einem dafür zuständigen Bierwart gewissenhaft verwaltet wird. Da läßt sich Lex Rimmler nichts nachsagen. Das führt dazu, daß der Bus alle 30 bis 40 Kilometer anhalten muß, denn die von der ständigen Flüssigkeitszufuhr prallen Blasen flehen um Entleerung. Dann schwanken Heppe und Bene sachte inmitten der Kollegen, zufrieden und mit spürbarem Wohlbehagen die gemeinsame Verrichtung betrachtend. Im Verbund mit Bruder Alkohol und Gevatter Nikotin scheint der Vorgang des Wasserabschlagens ein wichtiges Bindeglied für die Fangemeinschaft zu sein. Etwas wie heimliche Begeisterung, ja Rührung senkt sich über die Gruppe. Jetzt müßte ein donnerndes „We are the champions!“ aus einer riesigen Kenwood- Hifi-Anlage dröhnen und eine mächtige rote Leuchtschrift über den Wipfeln der braunstacheligen Fichten erflammen: „Bayern-Fanclub Red Kings ...“ Leider – der Bus muß weiter.
Ein paar Reihen hinter dem Fahrer sitzt Speedy. Ein kleiner Blonder, der es nicht so genau nimmt mit dem Fantum und sich unter den Dissonanzen der Sänger im Fond krümmt. „Da schmeckt einem das Bier nicht mehr, aber es gehört anscheinend dazu ...“ Am Wochenende wird getrunken. Ein offenbar eherner Grundsatz, dem man nicht entrinnen kann. Wie denen auf den hinteren Plätzen, auf die er gerne verzichten würde mit ihrem ewigen Gesinge und ihrer ewig bellenden Kameradschaft. Speedy hat gelernt, auf Durchzug zu schalten, und versucht sich auf das Spiel zu freuen.
Das ist nicht ganz einfach, denn in München auf dem Busparkplatz haben die ersten Sportkameraden schon erhebliche Mühe, gesittet dem Gefährt zu entsteigen. Lex Rimmler muß flehend die Augen gen Himmel schwenken. Aber: man war ja nicht viel anders, früher. Jetzt ist der Präsident eine Art Honoratior, hat schon mit Uli Hoeneß telefoniert und kann, wenn er will, auf der VIP-Tribüne sitzen. Heppe und Bene dürfen da nicht hin, in ihrem momentanen Zustand schon gar nicht. Nun ja, schließlich ist Wochenende. Rimmler schiebt die beiden mit einer Mischung aus Vaterstolz und resignierender Verzweiflung vor sich her: „Das sind sonst keine schlechten Kerle.“ Wer möchte das bezweifeln, wie sie, rührend um Contenance bemüht, in einer Art schlampigen Stechschritts den Rasen queren. Stumm und großäugig vor Konzentration. Nur ein Ziel vor Augen: das Stadion. Die Stehplatzkurve.
Im Olympiastadion sind nicht alle Menschen gleich. Es gibt die auf der Haupttribüne, das sind Leute mit Geld oder Einfluß oder beidem. Man möchte sie eigentlich hämisch verachten, aber in Wahrheit bewundert man sie sehnsüchtig und fürchtet sie ein wenig wegen der Macht, die sie ausstrahlen. Ihre Unerreichbarkeit macht sprachlos. Ansonsten trifft man auf den Sitzplätzen Leute, die es überwiegend beschaulich mögen. Sie gehen nicht mal zu jedem Heimspiel und sind eigentlich nicht der Rede wert. Im Gegensatz zu jenen in der Nordkurve. Da hockt, oder besser, steht der Feind: die Fans der gegnerischen Mannschaft. Liederliche und charakterlose Individuen allesamt.
Schon vor dem Stadion werden die braven Red Kings in kleinere Scharmützel verstrickt mit diesen Wegelagerern. Lex Rimmler muß hin und wieder schlichten. „Früher hätten drei von uns die ganze Bande flachgelegt“, berichtet der Veteran und wischt verächtlich mit der Faust in Richtung der plärrenden Widersacher. Das war einmal. Man wird ja älter, hat Nachwuchs bekommen und baut am eigenen Häuschen – das Verhängnis aller ehemals wilden Burschen. Das einzig verbliebene Reservat für ungestümes Mannestum ist das Olympiastadion und die Südkurve. Serengeti. Buschland. Eng, laut. Schwitzende Menschen schieben und rempeln. Schwenken Fahnen und Schals, wedeln mit den Händen, feuern an, pfeifen aus. Alles in Bewegung. Man begrüßt sich lauthals, vor Begeisterung schäumend, schüttet sich Bier auf die Hose, brennt sich Löcher in die Jacke. Unermüdlich werden Expeditionen ausgesandt, die sich selbstlos, alle Gefahren mißachtend zum Bierstand durchkämpfen. Ihre schwankende Rückkehr, in den Armen schwappende Becher, wird ekstatisch gefeiert.
Einer wie Speedy ist nur noch hilfloses Treibgut im rot-weißen Strom. Wer nicht energisch rudert, wird weggespült an den Rand oder hoch zum Zaun, wo er eingekeilt den Hals langmachen muß, um wenigstens ab und zu ein Fetzchen des Spiels zu sehen. Das für viele in der Südkurve eine überraschend geringe Rolle spielt. Es dient genaugenommen nur als Anlaß, um sich zu umarmen, mit Bier anzustoßen und Zigaretten auszutauschen. Ein Ritual, das trieft von dem Verlangen nach Zusammenhalt und Schutz. Man lasse sich nicht täuschen von dem dröhnenden Gehabe. Von den drohenden Fäusten und frech verzogenen Mäulern. In der Südkurve suchen einsame Männchen Schutz. Sie sichern sich über ihre Bereitwilligkeit, regelmäßig auf dem Thingplatz zu erscheinen, die Zugehörigkeit zum Großorden der Bayern-Fans und den Schutz des mächtigen Fußballvereins. „Das müssen wir einfach gewinnen!“ Heppe bettelt regelrecht um Zustimmung. Wie er so, um eine positive Antwort greinend in die Runde guckt, ist er für einen Moment nichts weiter als ein betrunkenes Kind. Lex Rimmler tröstet ihn wohlwollend. Und bietet ihm routiniert die allzeit heilsame Medizin: warmes Bier im Pappbecher. Außerdem gewinnen die Bayern, und von heute an geht es aufwärts. Das ist sicher.
Nach dem Spiel mag sich der kleine Haufen Red Kings nur schwer vom großen Haufen trennen. Ein letztes Mal wird mit allem Erreichbaren angestoßen, sich umarmt und geraucht. Heppe und Bene dazwischen, wie schwankendes Schilfrohr im Winde. Der Trubel um sie herum mag ihnen wie ein taumelndes Kaleidoskop erschienen sein, sie weichen dennoch um keinen Preis. Erst später, wieder ganz hinten im Bus, dürfen sie ihrer Schwäche nachgeben. Einoder zweimal „Olee, olee!“ müssen sie noch abliefern, dann ist Feierabend für Bene und Heppe. Speedy ist dankbar, daß nun etwas Ruhe eingekehrt ist. Manchmal wirft er einen vorsichtigen Blick nach hinten, ob noch Gefahr droht. Dort aber sind alle sichtlich bedient und lehnen mit schlaffen Backen an der Scheibe. Es war schließlich ein langer Tag für Lex, Heppe, Bene und die anderen.
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