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Die arktischen Bauern sind zu teuer geworden

■ Morgen stimmen die Finnen und Finninnen über den Beitritt zur EU ab

Helsinki (taz) – Morgen stimmen die FinnnInen darüber ab, ob sie Mitglieder der Europäischen Union sein wollen. Beobachter sind erstaunt, daß die Meinungsforscher in den letzten Tagen eine überwiegende Zustimmumng ermittelt haben. Finnlands Landwirtschaft steht auf dem Spiel. Eine Mehrheit der Finninnen und Finnen, auch das haben Meinungsumfragen ergeben, will ihr Abstimmungsverhalten mehr vom Schicksal der Bauernhöfe und Forste abhängig machen als von den großen Fragen wie etwa der künftigen Sicherheitspolitik des neutralen Landes, der nationalen Selbständigkeit und der Exportwirtschaft.

Doch die finnische Landwirtschaft mit ihrer klimatisch bedingten extrem kurzen Wachstumsperiode steht auf dem EU-Agrarmarkt von vornherein auf der Abwicklungsliste. Schon bislang konnte das Auskommen der 200.000 Bauernhöfe nur mit rekordhohen staatlichen Subventionen gesichert werden. Bei den Beitrittsverhandlungen zeigte sich die EU relativ großzügig und stellte verschiedene Subventionstöpfe in Aussicht. Zudem darf die finnische Regierung während einer Übergangsfrist von fünf Jahren zusätzliche nationale Beihilfen zahlen.

Darüber, was danach kommt, wird in Finnland nicht diskutiert. Die Landwirtschaft muß in jedem Fall schrumpfen, ob in der EU oder außerhalb. Vor vierzig Jahren war Finnland fast ein reines Agrar- und Forstwirtschaftsland, emotionale Bindungen an diese Herkunft sind immer noch spürbar. Doch fünf Millionen Finnen und Finninnen sind die halbe Million Menschen inzwischen doch zu teuer geworden, die noch direkt von der Landwirtschaft abhängig sind. In der EU-Debatte ging es um die möglichst schmerzlose Ausformung des Übergangs. Die finnische Regierung hat nach heftigen internen Kämpfen ein landwirtschaftliches Subventionsprogramm zusammengeschustert, das zwei Nachteile hat: Den Bauern reicht es nicht, und Brüssel hat es noch nicht abgesegnet.

„Man will, daß wir Bauern aus großer Höhe aus einem Flugzeug abspringen und uns darauf verlassen, daß die Regierung und die EU uns schon unterwegs mit einem Fallschirm versorgen werden“, sieht Esa Härmelä, Vorsitzender der Bauerngewerkschaft MTK, die Lage. Die MTK empfiehlt, morgen mit „Nein“ zu stimmen.

Um zwanzig Prozent wird das Einkommen der Bauern ab kommendem Jahr durchschnittlich sinken, manche Weizenanbauer im Süden müssen gar mit einem Einkommensverlust von bis zu fünfzig Prozent rechnen. Gewerkschaftsboß Härmelä selbst saß jedoch mit am Verhandlungstisch in Brüssel und segnete dort die Ergebnisse mit ab: „Ich war von einem umfangreicheren nationalen Stützpaket ausgegangen“, rechtfertigt er sich heute. Doch für dieses Geld wird sich im Parlament keine Mehrheit finden. Die Regierung von Esko Aho, selbst der bäuerlichen Zentrumspartei angehörend, hat alle Möglichkeiten ausgereizt, und sowohl Konservative als auch oppositionelle Sozialdemokraten reden Klartext: „Unsere Landwirtschaft ist überdimensioniert“, so Sozialistenchef Paavo Lipponen ohne Rücksicht auf Stimmverluste, „die Produktivität ist zu gering, und die ganze Branche verschlingt im Verhältnis zum Resultat viel zuviel Milliarden. Überhaupt habe ich meine Zweifel, ob Brüssel das jetzige Paket nicht als zu umfangreich ablehnen wird.“

Zweifel, die offenbar mehr als berechtigt sind. Wenige Tage vor der Volksabstimmung liegt nämlich nach wie vor kein grünes Licht aus Brüssel vor. Trotz allen Drucks aus Helsinki sieht die EU-Kommission „Auslegungsprobleme“, vor allem was eine Hintertür des finnischen Subventionspakets angeht: Falls „besondere Schwierigkeiten auftreten“, möchte Finnland schon jetzt einen Freibrief haben, die von Brüssel genehmigte maximale Subventionsperiode zu verlängern. Reinhard Wolff

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