: Ein neuer antifaschistischer Schutzwall
In Hötensleben ist die Mauer wieder da: Auf diese Weise versucht ein gewiefter Bürgermeister Vergangenheitsbewältigung zu betreiben und den Tourismus in sein Dorf zu ziehen ■ Von Eberhard Löblich
Hötensleben (taz) – Wir schreiben das Jahr vier nach der Vereinigung. Die Deutschen sind, so jubelt der neue alte Bundeskanzler Helmut Kohl immer wieder, „in Frieden und Freiheit vereint“. Doch sind das alle Deutschen?
Nein. Denn während der Kanzler im fernen Bonn seine neue Regierung zusammenstellt, rebelliert ein halbes kleines Dorf im fernen Osten der Republik. Einige Menschen von Hötensleben wollten ihre Mauer wiederhaben. Und so entzweien nun rund 500 Meter eines neuen antifaschistischen Schutzwalls die Deutschen zwischen Niedersachsen und Sachsen- Anhalt, aber auch die BewohnerInnen von Hötensleben.
Die Mauer von Hötensleben ist keineswegs ein Rest der ehemaligen Sperranlagen, sondern ein echtes Duplikat. Kurz nach dem Untergang der DDR war auch in dem rebellischen Ort nicht mehr viel von der alten deutsch-deutschen Grenze zu sehen. Mauerspechte rückten mit Hammer und Meißel dem Bauwerk zu Leibe. Stahlgitter- und Stacheldrahtzäune wurden geklaut, und die letzten 30 Panzerreiter konnte Bürgermeister Dieter Buchwald nur durch persönlichen Einsatz retten. „Die hatten Andenkenhändler auch schon auf einen Lkw verladen, als ich im letzten Moment einschreiten konnte.“ Buchwald ist Initiator und energischster Verfechter dieses zweiten Mauerbaus.
Dort, wo früher Deutsche von Deutschen getrennt wurden, verkaufte die Gemeinde Hötensleben Baugrundstücke. Am Ortsrand entstand eine Reihe repräsentativer Einfamilienhäuser. Unmittelbar daneben baute die Gemeinde ein Gebäude mit 27 Alten- und Sozialwohnungen. Und ganz zum Schluß baute Hötensleben schließlich die Mauer wieder auf.
„Schon für die Vergangenheitsbewältigung sind wir verpflichtet, ein Stück Mauer zu erhalten“, meint Buchwald. „Es gibt allerdings Bürger, die diese historische Verantwortung nicht erkennen.“ Diese Bürger sind insbesondere die Häuslebauer. „20 Meter vor unserem Wohnzimmerfenster steht die Mauer“, sagt Manuela Ziemer. Die junge Frau ist eine der wenigen MauergegnerInnen, die überhaupt noch mit Journalisten reden. Denn die anderen haben längst resigniert. Sie wollen in Hötensleben mit seinen 2.600 EinwohnerInnen nicht als Nestbeschmutzer gelten.
„Wir haben Eingaben an den Gemeinderat geschrieben und eine Demo durch den Ort gemacht“, berichtet Manuela Ziemer. „Alles umsonst.“ „Wir sind schließlich auch das Volk“, skandierten die DemonstrantInnen. Doch die Rufe verhallten ungehört und wurden nur von der Mauer als leichtes Echo zurück in den Osten geworfen.
Die überwiegende Mehrzahl der HötenslebenerInnen ist begeistert von der Idee ihres Bürgermeisters und hat den CDU-Mann bei der Kommunalwahl im Sommer mit 85 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.
Buchwald verspricht sich vom Mauerbau die Aufbesserung der nicht gerade üppigen Gemeindefinanzen. „Schon jetzt gibt es einen gewissen Grenztourismus“, freut sich der Bürgermeister, „die Leute kommen, gucken sich das Ding an und kehren dann meist auch im Dorf ein.“
Diese Einnahmequelle will Buchwald künftig noch stärker sprudeln lassen. Die neue Grenzanlage soll noch weiter ausgebaut werden, selbstverständlich originalgetreu. „Rund 350.000 Mark bräuchten wir, um die Panzerreiter, die nach der Grenzöffnung verschwunden sind, in voller Zahl wiederzubeschaffen und die Beleuchtung neu zu installieren“, rechnet der Bürgermeister vor, „außerdem kosten Pflege und Erhalt der Anlage jährlich 30.000 Mark.“
Doch bisher fehlt das Geld. Buchwald hofft deshalb, daß sein Mäuerchen doch noch in das Gedenkstättenprogramm des Landes Sachsen-Anhalt aufgenommen wird. Die alte Regierung hatte das mit dem Hinweis auf die geplante Gedenkstätte am ehemaligen Grenzkontrollpunkt Helmstedt – Marienborn abgelehnt.
Doch die Hoffnungen Buchwalds werden sich nicht erfüllen. „Das Gedenkstättenprogramm Deutsche Teilung wird nicht erweitert“, sagt ein Sprecher des Ministeriums. Kleiner Trost für Buchwald: Der Landtag hat beschlossen, daß das Finanzministerium im Landeshaushalt für 1995 50.000 Mark an Fördermitteln für den Hötenslebener Mauerbau bereitstellen soll.
Dennoch hat Buchwald wenig Verständnis für die ablehnende Haltung des Landes. „Für 16 Millionen ehemalige DDR-Bürger sind doch Mauer und Stacheldraht das Symbol der deutschen Teilung“, ist er überzeugt. „Die Grenzanlagen und nicht ihre wenigen streng bewachten Durchlässe waren es doch, die jahrzehntelang zum Erhalt der DDR beigetragen haben.“
Den BesitzerInnen der Mauergrundstücke ist es derweil ziemlich egal, ob der neue antifaschistische Schutzwall von der Gemeinde oder vom Land finanziert wird. Sie wünschen ihn generell zum Teufel. Doch gleichzeitig flaut auch ihr Protest ab, sie haben sich inzwischen in die innere Emigration zurückgezogen.
Die Bewohner der Alten- und Sozialwohnungen stört die Mauer dagegen weniger. „Ich wohne im dritten Stock“, meint eine ältere Frau nur lakonisch, „ich kann über den Schutzwall drüberweggucken.“
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