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Schlaksiger New Yorker

David Byrne, Sänger aller Farben, gegenwärtig wie nie zuvor, mit einem Quartett in Berlin  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Pünktlich anfangen, das ist wirklich das Gegenteil von Pop. Es ist Konzept, so wie die Figur David Byrne Konzept ist. Alles, was nach Verausgabung klingt, ist auf den Augenblick hin getimt, in dem eine Phrase auf der Gitarre unterschlagen wird, eine Wiederholung gekappt – auf das Dunkel der Bühne zwischen den Songs.

Der Winter kriecht schon unter die schmalen Holzbänke, aber das Tempodrom in Berlin ist ein magischer Ort, ein gestreiftes Zelt, das alle umschließt, Zirkus und Theater. Wie zwei Riesen tauchen die Schatten von Byrne und seinem Percussionisten an der Decke auf. Weil die Distanzen gering sind, sind die Kegel und Spots scharf und steil.

Was David Byrne in diesem Jahr zu bieten hat, ist ein dichtes Zweistundenset mit rund 25 Songs, die ersten „unplugged“, angetippt und schon vorbei, die späteren etwas mondäner aufbereitet, elektrisch, ekstatisch und hysterisch. Das Kernstück ist „Lilies of The Valley“, mit seinen swingenden Strophen und dem kreischenden Refrain – der beste Song der neuesten Platte.

Aber die Promotion des Albums, das bekenntnishaft unter seinem Namen erschien, wird nur unauffällig betrieben. Auf die störrischen frühen Lieder wird genauso zurückgegriffen wie auf die Bonbontöne von „Little Creatures“. Im Quartett ist Byrne näher an den Talking Heads als mit den lateinamerikanisch inspirierten Bigbands der letzten Jahre. Andererseits gibt es keinen zweiten Gitarristen, so daß das übliche Schema von Rhythmus- und Leadgitarre gänzlich wegfällt. Die Band ist gesäumt von Drums rechts und Percussion und Keyboards links, während Byrne mit seinem linkshändigen Bassisten Paul Socolow das Zentrum bildet: Die gegenläufigen Gitarrenhälse erinnern an das Logo seines Namens, in dem „byrne“ dem „david“ spiegelverkehrt angehängt ist. Die Konstellation ist vertrackt, hermetisch – schwer zu sehen, was man hört und andersherum.

Das Gruppengefüge entfaltet sich nur langsam und wird mit den verschiedenen Keyboards, die alle wie das Vibraphon geklöppelt werden, plastischer, reicher. Byrne schafft es mit seiner Band, widersprüchliche Tendenzen zu verschneiden: die komplizierten handgemachten Beats mit technisch hochgradig manipulierten Akkorden und Tonfolgen. Die dichtesten Stellen sind immer auch die knappen.

Die Musik der Band hat etwas Vorsprachliches, manchmal fast Tonloses – die Reinszenierung des plakativen „Psycho Killer“ ist enttäuschend, weil David Byrne inzwischen deutlich feiner gewobene Songs schreibt.

Dabei hat sich auch sein ironischer Duktus verschoben. Damals, mit seinen Einmeterzwanzigschultern, spielte er einen faschistoiden Zombie, und als Bandleader der großen Formationen hatte er etwas von Tölzer Sängerknabe meets Dschungel. Jetzt ist er ein schlaksiger New Yorker Anfang Vierzig, mit romantischer Mähne, der seinem Publikum keinen dramaturgischen Wink mehr gibt, um zu bedeuten, daß die neurotischen Entgleisungen seiner Stimme Rollenspiele sind. Allein dieser Hüftschwung entstammt jenem Repertoire von Parodien, die das echte Vergnügen an falscher Musik wunderbar sichtbar machen. Als Gitarrist und Sänger leuchtet er in allen Farben. Als Person ist er gegenwärtig wie nie zuvor.

Byrnes Publikum ist in den Dreißigern, aufmerksam und gar nicht so versessen auf johlende Party. Die Musiker wissen das zu schätzen. Sie arbeiten mit frappierender Konzentration, ohne sich zu verschanzen. Dieser Rock am Rande der Performance, mit den Wurzeln in der Weltmusik und dem ganzen Werkzeugkasten präziser Technologie, hat mit den Klischees des Business völlig gebrochen. Der beste Beleg dafür sind die Hosen des Schlagzeugers. Es sind kurze.

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