Wand und Boden: Vergänglichkeit ist keine Frage des Stils
■ Kunst in Berlin jetzt: Landers, Wentworth, Utermöhlen
Sean Landers ist smart genug, sein Künstlerdasein in Frage zu stellen, ohne ganz verzweifeln zu müssen. Ein Rest Provokation bleibt. Im Video zur Ausstellung der Galerie Bruno Brunnet präsentiert sich der Künstler als nackter Chippendale: langhaarig und gut gebaut. Landers peitscht sich vor der Kamera ein bißchen aus, spielt mit seinem drittel-erigierten Glied oder posiert in Stellungen, die von schweren Madrigal-Chören begleitet zwischen Michelangelo und Davidoff-Blue-Boy pendeln. Vor allem aber bleibt der Kreis der Selbst-Darstellung geschlossen. Ein mögliches Alter ego zum Künstler-Narziß findet sich in einer Cartoon-Serie. Dort funktioniert der symbolische Affe als Bindeglied zwischen archaischer Gesellschaft und individuellem Streben – der Mensch ist ein Affe, der Kunst macht. Doch auch hier schaltet sich der Produzent Landers in der Endlosschlaufe des Subjekts quer. Mit zeichnerischer Leichtigkeit dient der Primat als Ersatz für sein eigenes Spiegelbild: der Künstler malt, was er (nicht) ist. Oder er lügt, indem er dem Betrachter zahllose Geschichten aufbindet, die Landers auf polymorphe Felder in zarten Grundfarben schreibt, großformatige Telefondoodles, die wiederum an Francis Picabias selbstironische Texttiraden angelehnt sind: „Q: Do you take yourself serious? – A: No. – Q: Do you expect others to? – A: Yes.“ Nebenbei benutzt Landers die maulige Attitüde des Punk, zitiert gerne auch Kurt Cobain, weiß aber von vornherein, daß das Grün seiner Bilder nur ein weiteres Grün ist, und Vergänglichkeit keine Frage des Stils. Landers kontert die Angstphilosophie des white trash, indem er sie nicht aus der Situation herleitet, sondern nur noch als Wunschapokalypse romantisch artikuliert: „So with my own belief that I face certain failure here, I sail into the setting sun, storm clouds rising like cliffs to the east.“ Zwischen Affen, Clowns und Models verschwindet der Künstler an den Rändern des Pop. Spannend wird es dort, wo er trotzdem wieder auftaucht.
Bis 3.12., Di-Fr 12-18.30, Sa 11-15 Uhr, Tauroggener Straße 15.
Richard Wentworth muß sich weniger Sorgen um seinen Status im Betrieb machen. „Travelling without a map“, so der Titel der Doppelausstellung in der daad- Galerie und den Kunst-Werken, zeigt Fotos, Objekte und Installationen des britischen Künstlers und Damien-Hirst-Lehrers am Londoner Goldsmith College, die während seines einjährigen Berlin-Aufenthalts entstanden sind. Das beginnt recht sorglos mit einem Fototagebuch in Katalogform, kuriose Schnappschüsse aus teils entlegenen Winkeln der Stadt, von Krähenfußspuren im Schnee bis zu dahingeschmolzenen Eistüten auf Motorhauben, und endet mit einem raumgreifenden Stangengehege, das Wentworth in die Kunst-Werke montiert hat und das nun nur mit gelbem Bauhelm zu betreten ist. Wegen der Sicherheit. Bücher und Fundstücke stützen die Pfeiler am Boden, Porzellanteller dämmen die Konstruktion zur Decke hin. Klassisches modernes Bildhauern vor Ort. Auch die Objekte in den Räumen des daad bauen auf die Spannkraft im Zusammenprall der Gegenstände: Ein „Calendar“ aus verschraubten Stahlregalen etwa füllt sich mit blaßblauen Glühbirnen, die sonst benutzt werden, um in Ausstellungen das Tageslicht zu imitieren. Daneben eine Nische mit ausgestreuten und aufgespießten Kalenderblättern, die selbst wieder eine Spur aus eingefrorenen Momenten legen. Immer wieder nimmt Wentworth Maß, legt etliche Lineale in ein deutsches Grammatikbuch – er hebt die errechenbare Geometrie und Arithmetik der doch eher zufällig sich addierenden Alltage hervor. Noch im Kommentar auf das Zusammenwachsen beider Stadthälften wird mit dem Zollstock argumentiert und die Reibung von Ost und West an zwei im Wellenschlag miteinander vertackerten Maßbändern nachgewiesen. Dabei bemüht sich der Engländer sehr penibel um die Stimmigkeit der Arrangements, die er schon für Aussagen hält. Für „Schaft“ hat er Faller-Häuschen mit grünen Laubtischdecken aus Plastik überdeckt, aus denen nur die roten Dächer hervorstechen, und für die Raumarbeit „Palette“ wurden abgewetzte Sitzflächen aus diversen Ateliers auf kleine Sockel gehievt. Der Ort der Kunst ist immer dort, wo der Künstler sich befindet. Natürlich wohnt so einer luftigen Selbst-Erkenntnis im Rückblick auf die Jahresproduktion eine gewisse Ironie inne – als könne sich der Künstler am eigenen Schopf aus dem Sumpf der Interna und Bezüglichkeiten ziehen. Manchmal stößt man dann doch auf kleine Feinheiten, etwa wenn Wentworth ein Blech mit eingefaßten Konservendosen als „passport“ anbietet: Den Deckeln ist Italia oder China als Herkunftsland eingeprägt, die Banderolen auf der Rückseite sind allesamt deutsch beschriftet – damit man hier weiß, was dort drin ist.
Bis 20.11., Di-So 14-18 Uhr, Kunst-Werke, Auguststraße 69; tgl. 12.30-19 Uhr, daad-Galerie, Kurfürstenstraße 58.
Der schräg im Bild liegende Akt im Atelier des Künstlers dominiert den Raum der Galerie Zwinger. Er ist ohnmächtig niedergesunken, schön gleichmäßig allerdings, so daß sein flaschenhalsartig geformtes Geschlecht in Ruheposition auf dem Schambein liegt. Die fotografierte Szene wurde mit klarer Harz-Lasur übermalt, die den Duktus der Malerei imitiert. Denn die Ewigkeit ist gespielt: Kein Modell könnte so lange mit eingeknickter Hüfte ausharren. In der linken Ecke stehen nur schemenhaft noch wahrnehmbar Gemälde von weiteren nackten Jungs, diesmal aufgerichtet, scheinbar an einen Baum gelehnt, in der Haltung des heiligen Sebastian, leidend, in jedem Fall aber wie im Barock, das Bild im Bild zitierend. Die rundum, als Arabeske, gehängte Ausstellung von Nikolaus Utermöhlen funktioniert wie ein Traum in ständiger Verschiebung der Gegenstände, die dann auch farblich entlang des Spektrums von Blau und Gelb ins tiefe Rot führen. Bruchstücke des Fotos tauchen aus einer erweiterten Perspektive an anderer Stelle wieder auf, von Bilddetails unterbrochen, die auf dem Original ein wenig manieriert als rätselhaftes Gut im Atelier herumliegen: knallige Hundebälle, die als Einzelmotive später im Bubble-Jet-Kopierverfahren farblich noch weiter verfremdet wie ferne Sterne aus dem Andromeda-Nebel erscheinen. Sie wechseln sich mit Duotone-Stills von aufblitzenden Feuerwerksraketen ab. Dazwischen plötzlich eine Schwarzweißaufnahme der Sonne von einer Sonde im All aus der Nähe fotografiert, schwelende Wolkenformationen und die lange Flucht eines grauen Flurs. Entstellung und Explosion sind zwei der zentralen Motive, die nun nicht mehr in Erwartung der Apokalypse erscheinen, wie Utermöhlen sie in Anlehnung an William Blakes malerische Poesie vor zwei Jahren noch ausgestellt hatte.
Jetzt drängen die Bilder stärker auf blendende Farben, ins Licht. Aller Hintergrund ist zurückgenommen, allein die Gegenstände schwirren in Fetzen umher. Und das mexikanische Papier, auf das die Zersplitterung übertragen wurde, gleicht dem matten Sand friesischer Dünen.
Das ohnmächtige Modell, bis 12.11., Di-Fr 14-19 Uhr, Sa 11-14 Uhr, Dresdener Straße 125. Harald Fricke
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