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Eine Armee sucht ihre Phantomsoldaten

■ Krach um streikende ANC-Soldaten in Südafrikas Militär / Mandela schimpft

Johannesburg (taz) – Oberst Johan „Kritz“ Kritzinger, ein Soldat von altem Schrot und Korn mit silbergrauem Haar, hat die Faxen satt. „Bei mir haben etwa 2.000 Leute protestiert, da habe ich die Truppe ausrücken lassen. Nach zwei Minuten war Ruhe“, sagt der Offizier der südafrikanischen Streitkräfte (SANDF), „ich werde so etwas nicht erlauben.“ Ein Vorgehen wie im alten Südafrika: Bei Problemen mit Schwarzen rücken Soldaten und Polizisten mit Schußwaffen aus, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Der Unterschied: Der Zwischenfall ereignete sich auf dem Militärstützpunkt Wollmanstal bei Pretoria, bei den 2.000 Unruhestiftern handelte es sich um ehemalige Kämpfer der ANC-Untergrundarmee „Umkhonto we Sizwe“ (Speer der Nation), und eigentlich sollten sie nicht von den südafrikanischen Streitkräften eingeschüchtert, sondern in sie integriert werden.

Die Zusammenlegung der alten Südafrikanischen Wehrmacht (SADF) mit den früheren Homeland-Armeen und den Untergrundkämpfern der einstigen Widerstandsbewegungen Afrikanischer Nationalkongreß (ANC) und Panafrikanistischer Kongreß (PAC) zu einer neuen nationalen Armee mit der Bezeichnung SANDF geht nicht ohne Probleme vor sich. Von den ersten 7.500 neu zu übernehmenden Ex-Guerilleros glänzen seit Dienstag vergangener Woche 6.300 durch unbefugtes Fernbleiben vom Dienst – AWOL, absent without leave. „Sie beschweren sich über das Essen,“ sucht Generalmajor Bertie Botha, stellvertretender Armeechef und zuständig für die Armeezusammenlegung, nach einem Grund.

„Sie wehren sich dagegen, von anderen Soldaten bewacht zu werden; sie glauben, es handele sich nicht um eine gleichberechtigte Integration, sondern um eine Absorbierung in die alte Armee“, glaubt dagegen der ANC-Parlamentarier Toni Yengeni, Vorsitzender des Verteidigungsauschusses. Außerdem gibt es Vorwürfe über Rassismus.

Viele neue Soldaten erscheinen nur am Zahltag

Selbst Präsident Nelson Mandela schaltete sich inzwischen in die Krise ein. Am Donnerstag besuchte er den Ausbildungsstützpunkt Wallmanstal und stellte den Meuterern ein siebentägiges Ultimatum, in die Kasernen zurückzukehren oder unehrenhaft entlassen zu werden. „Ohne Erlaubnis wegzugehen, am Zahltag vorbeizuschauen und dann wieder zu gehen – das muß aufhören“, ärgerte sich Mandela. Tatsächlich existieren viele der neuen Soldaten aus den alten schwarzen Untergrundarmeen bisher nur auf der Gehaltsliste. 21.000 Soldaten hat der ANC, 7.000 der PAC angemeldet. Seit den Wahlen Ende April werden sie per Federstrich als reguläre Soldaten mit Anspruch auf Sold geführt. Aber viele tauchen nur am Zahltag auf. Bei den ersten 7.500, die zur Ausbildung einrückten, handelt es sich nach Armeeangaben um zukünftiges „Führungspersonal“. Die anderen leben, so Generalmajor Botha, „irgendwo in der weiten Republik Südafrika“.

„Die meisten angeblichen Guerilleros in meinem Kurs“, so sagt ein Rekrut der Marine, „haben in Wirklichkeit noch nie das geringste Training genossen.“ Viele der angeblichen früheren Guerilleros stammen aus Südafrikas Townships und hoffen jetzt wohl nur, in einem Land mit 50 Prozent Arbeitslosigkeit ein sicheres Auskommen zu erhalten. Rund 70 Prozent der ehemaligen Guerilleros besitzen keine formelle Schulausbildung. Bei vielen ist nicht klar, ob sie tatsächlich jemals militärische Ausbildung genossen haben. Selbst der stellvertretende Verteidigungsminister Ronnie Kasrils, eine Veteran des bewaffneten Widerstands, gibt zu: „Wahrscheinlich wird nur die Hälfte es schaffen, Soldat zu bleiben.“

Die Krise um die Armee besitzt ihren Ursprung in einem Kompromiß aus den Verhandlungszeiten um den Übergang zur Demokratie. Der ANC durfte zwar den neuen Verteidigungsminister und dessen Stellvertreter benennen, aber das Generalscorps blieb weitgehend intakt. Die Offiziere setzten sich zudem mit dem Argument der Professionalität durch: Wer ins Militär aufgenommen werden wolle, müsse auch gewissen Anforderungen genügen. Doch kaum jemand der neuen Soldaten erfüllt diese Maßstäbe. Die Folge: Das Personal der bisherigen Streitkräfte behandelt die neuen Kollegen als Soldaten zweiter Klasse. Die entsprechenden Klagen wurden offensichtlich nicht ernst genommen. Angesichts der Haltung mancher Offiziere ist das nicht verwunderlich. „Eine Armee ist schließlich keine demokratische Institution“, sagt einer. Willi Germund

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