Lieber Eberhard Poßner,

■ betr.: "Verschnarchter alter Mann", Leserbrief vom 24.10.94

sicher, „der knappe Ausgang der Wahl läßt für die Zukunft hoffen“. Er macht die Bonner Politik aber mehr intrigant als interessant. Bei so knappen Mehrheitsverhältnissen wird sich bald die Frage stellen: wie teuer ist ein Abgeordneter?

Am traurigsten aber ist, daß in bald 50 Jahren BRD, deren Bürger – wie auch deren Bürgerinnen – die Wahlen jedesmal dazu genutzt haben, die Regierung wiederzuwählen. Der vielbeschworene Wechsel war hierzulande nie die Tat des Wahlvolks, sondern stets das Produkt taktischer Kalkulationen der Parteihierarchen.

Es ging dabei auch nie um die Eroberung der Macht, sondern stets um die Machterhaltung. Die SPD wurde von der CDU zur Großen Koalition gebeten, weil das den Strategen der Partei als die einzige Möglichkeit erschien, die SPD von der Kanzlerschaft fernzuhalten. Dann wieder sah die FDP nur im Partnertausch eine Möglichkeit, in der Regierung zu bleiben.

Der Souverän der BRD, das Wahlvolk, hielt sich stets vornehm zurück und gab den Entscheidungen der Parteien jedesmal seinen Segen.

Der letzte sächsische Monarch bedachte seine ihn umjubelnden Landsleute mit dem heiter ironischen Wort: „Ihr seid mir schöne Republikaner.“ Recht hatte er.

Mit freundlichen Grüßen Arno Widmann