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Gehen wir essen zu Daimler?

Ende Oktober beginnt das Megaprojekt debis am Potsdamer Platz / 340.000 Quadratmeter steinerner Zukunft  ■ Aus Berlin Anita Kugler und Rolf Lautenschläger

Es braucht schon sehr viel Phantasie oder eine Computersimulation, um sich die neue Welt am Potsdamer Platz vorstellen zu können. Noch sieht Europas zukünftig größte Baustelle zwischen dem Pariser Platz im Norden und dem Landwehrkanal im Süden wie ein riesiger Sandkasten aus. Die wenigen Schaufelbagger und Kräne darin wirken wie Spielzeugautos. Doch der Countdown läuft. Am 29. Oktober wird mit Feuerzauber und „musikalischer Zeitreise“ der Grundstein für die steinerne Zukunft dieses geschundenen Platzes gelegt. Die Nase vorn hat dabei die Daimler-Benz-Tochter debis. Gefeiert wird das zukünftige debis- Verwaltungszentrum an der Ecke Reichpietschufer/Landwehrkanal, 85 Meter hoch soll die Kapitale des großen Geldes werden.

Auf dem Papier haben die Bauherren und Planer eine Vision der erneuten Stunde Null mitgebracht. Als wäre der Potsdamer Platz eine Tabula rasa, als gäbe es keine städtebaulichen Bezüge oder Ansprüche an die Umgebung – etwa das Kulturforum – zu beachten, bekundet der italienische Architekt Renzo Piano „die Erschaffung einer Metropole aus dem Nichts“.

Metropole hin, debis-City her, sicher ist, daß die Ödnis Potsdamer Platz zu einer neuen Büro- und Geschäftsburg zwischen dem alten Zentrum und dem sogenannten Neuen Westen wird. Nach dem Masterplan Renzo Pianos, der die Oberaufsicht führt, sollen auf der tortenförmigen, sechs Hektar großen Fläche bis 1998 drei Bürotürme, Verwaltungszentralen, Geschäfte und Hotels, das debis- Headquarter sowie ein Casino aus dem Boden wachsen. Ob die 750 Wohnungen, ein Kino sowie das Theater ausreichen werden, die Tristesse leergefegter Bürosilos zu überwinden, mag von den Kritikern des Betongebirges niemand so recht glauben. Noch fehlt der Stadtbezug. Bauen die anderen Investoren – Sony, ABB und Hertie – nicht rechtzeitig, verkommt debis zur Insel: „Es nützt wenig, daß wir fertig sind, und der Rest bleibt Wüste“, fürchtet Daimler-Vorstandsmitglied Manfred Gentz.

68.000 Quadratmeter des Potsdamer Platzes gehören dem Stern aus Untertürckheim. Umgerechnet in 8- bis 25stöckige Häuser, ergibt das 340.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche. Die Bebauung wird etwa drei Milliarden Mark kosten. Bernd Bischoff ist bei der debis für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Mindestens einmal pro Tag stülpt er sich und seinen Besuchern den Bauarbeiterhelm über und erklärt den Laien die Bauvorbereitungen. Da drüben, sagt er und zeigt auf ein tiefes Loch, 30 Meter vom Landwehrkanal entfernt, „klopft unser Herz, das debis-Verwaltungszentrum“. Es werde das höchste Haus im Daimler-Benz- Stadtteil und ist auf Sand gebaut, wie alles in Berlin. Um die Grube herum steht schon die Spundwand, 15 Meter in den Boden gerammt. Damit das Grundwasser nicht in die Grube dringt und in Ruhe Beton hineingegossen werden kann, hat debis eine Art „chinesisches Reisfeld“ gepflanzt. Im Abstand von 30 Zentimetern sind stiftbreite Hartgummiröhren 10 Meter in den Boden eingelassen, durch die ein Gel in den Boden injiziert wird. Das Gel breite sich in der Tiefe bis zu den Spundwänden aus und halte das Grundwasser unten. „Dies ist eine sehr ökologische Maßnahme“, meint Bischoff, denn irgendwann wird sich das aus Wasserglas bestehende Gel von selbst auflösen.

Der Masterplan hat die vier Bauabschnitte unter sechs Architekten-Teams aufgeteilt. So realisieren Piano und der Japaner Arata Isozaki bis 1997 das debis- Hochhaus und zwei Bürogebäude am Landwehrkanal. Bis 1998 planen Hans Kollhoff (Berlin) und Rafael Moneo (Madrid), Renzo Piano und das Team Lauber/Wöhr (München) ein weiteres Hochhaus am Potsdamer Platz, Wohnungen und das Hotel sowie das langgestreckte Casino mit dem Musical- Theater im Rücken der Staatsbibliothek. Ebenfalls 1998 fertiggestellt sein sollen die Blöcke für Dienstleistungen, Büros und Wohnen und der spitzwinklige Turm von Richard Rogers (London), Lauber/Wöhr und Piano.

Sowohl debis als auch die anderen Investoren setzen bei ihren baulichen Implantaten auf eine provokante Ministadt. Statt Bau für Bau und kleinteilig zu planen, entstehen Großstrukturen aus dicken Blöcken, Hochhäusern und langen Riegeln, wie der Architekturhistoriker Dieter Bartetzko kritisiert. Sieht man die Computersimulationen mit ihren glatten Fassaden, strengen Formen und tiefen Häuserschluchten an, stellt sich nur schwer der Eindruck von europäischer Stadt, Urbanität, Vitalität und Lebendigkeit ein, den die debis-Manager prophezeien.

Mit dem Mythos der Mobilität – schließlich ist Daimler ein Automobilkonzern – und dem euphorischen Fortschrittsoptimismus, das „Posemuckel“ Berlin an die Spitze des 21. Jahrtausends zu katapultieren, hat debis bisher alle planerischen Schwierigkeiten wie mit der Lichthupe auf der Autobahnüberholspur aus dem Weg geräumt. Dem „Signal des Aufschwungs“, wie Gentz nicht müde wird zu betonen, hielt nichts stand, versuchte doch der Bauherr mit politischer Einflußnahme, herrischen Nutzungsforderungen und überzogenen gestalterischen Ansprüchen den Planungsprozeß auch gegen die Interessen der Berliner Stadtentwicklung zu seinen Gunsten zu entscheiden.

Der unspektakuläre Wettbewerbsentwurf für das rund sechs Hektar große Gelände, den die beiden Münchener Architekten Hilmer und Sattler 1991 mit einer Fortschreibung der historischen Stadtstruktur gewannen, erschien den Automobilgewaltigen zu wenig repräsentativ. Der von Renzo Piano 1992/93 „optimierte“ Masterplan hat darum nur noch wenig mit der ursprünglichen Idee der Münchener Planer gemein. Daß Piano Licht in die engen Gassen gebracht hat, geht Christoph Sattler zu weit. Er spricht von „zum Teil gegensätzlichen Interessenlagen und einer baulichen Entwicklung, die in die verkehrte Richtung läuft“. „Wohnsonderformen statt normalem Wohnen“, Passagen und Shopping-Malls in Tiefgaragen statt öffentlicher Straßen und Wege wären entstanden. „Stimmt nicht“, sagte Pressesprecher Bischoff, „mit Douglas, McDonald's und dem Italiener“ entsteht die typische Berliner Mischung. Der Entwurf erhält – als Gegengewicht zum historischen Potsdamer Platz – ein neues Zentrum, die Piazza, hinter der Staatsbibliothek. Auch für die Sony-City plant Helmut Jahn (Chicago) eine künstliche Piazza, die Bedeutung des früheren Mittelpunkts verschwimmt. Gehen wir essen zu Daimler? wird vielleicht im Jahre 1998 die Frage lauten.

Mit großem Aufwand versucht Daimler die ökologischen Anforderungen für den Erhalt des Grundwasserspiegels im Tiergarten einzuhalten. Auf Druck von Behörden und Umweltverbänden wurde debis aufgefordert, mehrere kleine Baugruben zu graben. Das aufgefangene Grundwasser wird über Brunnen dem Tiergarten wieder zurückgegeben, betont Bischoff. Sechzig Meßstellen zur Kontrolle sind eingerichtet und Negativbrunnen zur Verrieselung angelegt.

Ob das alles so gelingt, bleibt beim Berliner Sumpf fraglich. Schlammblasen könnten die betonierten Wannen aufreißen und die Fundamente nach oben drücken, befürchtet der Grünen-Abgeordnete Hartwig Berger. Außerdem sei ungewiß, ob die technische Pioniertat, das Unterwasserbetonieren im Bauabschnitt B, gelingt. Taucher werden dabei in 20 Metern Tiefe eine Betonwanne gießen, während oben Schwimmbagger weiter die Erde aufreißen.

In der Tunnelfrage unter dem Tiergarten boxte debis eigene Ein- und Ausfädelspuren durch, die dem Konzern Zufahrten sichern. Außerdem drängt debis den Senat, die Tunnelpläne schneller voranzutreiben, damit über der gedeckelten Röhre 1996 der Hochbau beginnen kann. Unter dem Projekt wird eine Tiefgaragenlandschaft für 2.500 Stellplätze entstehen. Nichts sei auch von den zusätzlichen U-Bahn-Plänen geblieben, kritisiert der Grünen-Abgeordnete Michael Cramer. Von innovativen öffentlichen Transportsystemen spreche heute keiner mehr. Und debis mache den Ausbau zur Stau-City mit, so Cramer.

Den größten Stau aber wird es in den nächsten Monaten auf der Baustelle selbst geben. Wo derzeit nur 80 Bauarbeiter ihre Löffelbagger herumfahren, die ausgehobene Erde auf Schredderanlagen sortieren, damit sie via Eisenbahn in die Braunkohlengruben in der Lausitz gekippt werden können, treten sich bald 2.500 Bauarbeiter aus allen Ländern Europas gegenseitig auf die Füße. 1.500 Lkws werden ihnen über eine eigene Zufahrtstraße die Materialien heranschaffen. Und über diesem Gewimmel sollen 60 Kräne ihre Lasten schwenken. In der vielbestaunten Friedrichstraße in Berlin-Mitte sind es gerade mal 15. Auch die Anzahl der Containerdörfer für die internationale Baubrigade wird ein Berliner Superlativ. Sie werden für die Art von Rasanz sorgen, die den Potsdamer Platz in den 20er Jahren berühmt machte. Im Jahr 2000 müßten 80.000 Menschen täglich, schätzt Bernd Bischoff, die Daimler-Stadt frequentieren – damit die Chose sich lohnt. Ohne sie erlöscht der Stern.

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