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Auf das Ihr Eure letzten Silberlinge versaufet

■ Tandaradei, tandaradei / Historischer „Mittelalter-Markt“ pflegt alte Sprache und Kostüme

„Was kann ich Euch gereichen? Und Euer Gespielin Wunsch?“ fragt der Met-Wirt auf dem Mittelalter-Markt seine Gäste. Manche freuen sich riesig und antworten ähnlich verschnörkelt. An allen Ständen wird in dieser Weise ein Hauch von mittelalterlicher Sprache verbreitet. Die Kleidung trägt ihr übriges dazu bei, daß man sich am Abend bei reiner Fackelbeleuchtung wie in eine andere Zeit versetzt fühlt. Parallel zum Freimarkt gastiert der „Mittelalter Markt und Kulturspektakel“ der „Fogelvrei Produktionen“ bereits im vierten Jahr direkt neben den Bremer Stadtmusikanten.

An zwanzig Buden wird das Handwerk neben dem Verkauf auch ausgeführt. So verschwindet der Korbflechter geradezu hinter einem Gewirr von Weidenästen. Am Ende steht ein großer Korb parat zum Verkauf. Auch der Drechsler trampelt munter an seiner fußbetriebenen Drehbank. Seit zwei Jahren ist der gelernte Holzdrechsler Matthias mit seinen Holzwaren auf mittelalterlichen Märkten unterwegs. Mit 28 Wochenend-Märkten im Jahr und einigen längeren Märkten sei es nun ein Fulltime-Job geworden, sagt er. Gerade auf den längeren Märkten wie hier in Bremen, komme er sich vor wie in einem eigenen Dorf: „Es ist gut zum Abtauchen. Du kommst rein, und es gibt keine andere Welt“, beschreibt seine Lebensgefährtin Astrid. Irgendwann werde das Leben auf dem Markt zu einem Gesamt-Theater, so daß man auf Fragen der BesucherInnen redlich mittelalterlich reagiere: „Elektrik, was ist das?“.

„Erlebbare Geschichte“ nennt die Zunft-Zeitung „Karfunkel, in der die Mittelalter-Fans ihr Sprach- und Informationsrohr finde, die Mittelalter-Märkte. „Wir befinden uns hier im Jahr 1494“, sagt Johannes F. Faget, Trust-Manager der Fogelvrei Produktionen. Der studierte Biologe und Kulturwissenschaftler möchte das Mittelalter „auf einer Ebene transportieren, die für die Besucher verdaulich ist“. Versuche man das Mittelalter wissenschaftlich darzustellen, würden „alle wegrennen“. Gleichzeitig will er das Mittelalter nicht konservieren. Der Umgang damit ist für ihn ein „kreativer Anachronismus“. Das werde besonders an der Sprache deutlich, so käme auf jeden Markt ein neues Wort dazu. In Bremen wurde „Taschendrache“ für Feuerzeug erfunden. Hofnarr Dreyfus tüftelt gerade ein Lexikon zurecht aus der Mischung von Luther-Bibel-Deutsch, Lateinisch und den Verballhornungen. „Kinderwagen“ ist zum Beispiel zur „Lustkutsche“ mutiert, für Zigaretten gibt es das schöne Wort „Rauchwerk“.

Durch das allabendliche Kulturspektakel wird nicht nur die Sprache den BesucherInnen näher gebracht. Auch die Musik wird in Form von Liedern und Tänzen aus dem 13. bis 16. Jahrhundert vermittelt. Andere Teile des mittelalterlichen Lebens werden durch das Erzählen von Possen oder Aventuren aufgezeigt. Und das Marktgericht wird nach Originalvorlagen aus den Quellenstudien ein wenig verändert nachgespielt: So wurde der Besenbinder verklagt, weil er Flugbesen für die Hexen herstellte. Er würde nie auf die Idee kommen, eine Hexenverbrennung nachzustellen, sagt Johannes Faget.

Zwei mal im Jahr treffen sich die GauklerInnen, HandwerkerInnen und MusikerInnen zu einem Plenum, um die Saison zu besprechen, oder neue Stücke einzuüben. Ansonsten wohnen sie über die Bundesrepublik verstreut. So ist ihr Treiben weniger als Aussteigermentalität zu verstehen, als eine „Einsteigermentalität“, betont Faget. „Wir ziehen uns nicht fernab auf einen Hof zurück, sondern setzen uns den Besuchern entgegen.“ Und ohne politisch zu sein, können sie politisch wirken, meint er. „Wenn ich einem Politiker die Hand gebe und sage: von Esel zu Esel sei gegrüßt, da ist er glücklich“, kichert Narr Dreyfus behaglich.

Vivianne Schnurbusch

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