■ Nagib Machfus verweigert Abdruck seines Romans: Kapitulation oder Besonnenheit?
Er wolle nicht, daß sein im islamischen Establishment umstrittenes Buch „Die Kinder aus unserem Viertel“ jetzt in der ägyptischen Presse abgedruckt wird. Wenige Wochen nachdem der ägyptische Nobelpreisträger Nagib Mahfus vor seiner Haustür von einem vermeintlich militanten Islamisten niedergedolcht wurde, sorgt der alte Mann der ägyptischen Schreiberzunft erneut für Schlagzeilen.
Eine Kapitulation vor den Mächten islamischer Zensur? Angst um sein Leben gehört sicherlich nicht zu den vorrangigen Charakterzügen des 83jährigen. Seit fünf Jahren steht Mahfus auf den Todeslisten der Militanten. Trotzdem hat er sich nie sonderlich davon beeindrucken lassen. Spazierte ohne jegliche Bewachung durch die Kairoer Innenstadt und lebte ein ganz normales Leben.
Für viele ägyptische Intellektuelle fungiert der im internationalen Rampenlicht stehende Mann als Symbol für ihren Kampf um freie Meinungsäußerung und Säkularisierung im Land. Werte, die er sicherlich auch verkörpert. Und doch zögert der ägyptische Intelektuellen-Vater Mahfus, mit den Islamisten eine direkte Konfrontation einzugehen. Statt dessen will er über die Gründe reden, warum die konservativen Islamisten derartig viel Zulauf im Land am Nil haben. Er möchte über die sozialen Wurzeln sprechen, die zu einer Belebung des politischen Islam führten. Besonders häufig prangerte er in den letzten Jahren das vollkommen verrottete Erziehungssystem an, in dem Tausende von völlig unterbezahlten und unmotivierten Lehrern eine ganze Generation von Viertelgebildeten hervorbringen. Der vermeintliche Attentäter auf Mahfus gab zu Protokoll, das umstrittene Buch nie gelesen zu haben, so wie er überhaupt noch nie ein Buch gelesen habe.
Statt einer unproduktiven Provokation, die im Westen sicherlich viel Beifall finden würde, wählt Mahfus die vorsichtige Variante. Noch herrschen in Ägypten keine algerischen Verhältnisse, wo die Ermordung von Intellektuellen auf der Tagesordnung steht. Der besonnene Ansatz, an dem Mahfus selbst von seinem Krankenhausbett aus festhält, führt vielleicht weiter. Vorausgesetzt auch die Regierung erhört Mahfus' Worte und kümmert sich um die existentiellen Probleme, die Leute am Ende dazu führen, ihre intellektuelle Elite zu attackieren. Vielleicht kann auch Europa den in Bedrängnis geratenen Ländern helfen, diese Probleme anzugehen. Das wäre allerdings wesentlich teurer als die einfachen Bekenntnisse zur freien Meinungsäußerung, die nichts kosten und sich zudem immer gut verkaufen lassen. Karim El-Gawhary
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