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Adorno, Todt & Co.

Der Sport Club Freiburg schert sich nicht um Philosophie, aber mal wieder um den subversiven Angriffswirbel und schlägt den 1. FC Köln mit 4:2  ■ Aus Freiburg Uli Fuchs

„Der Sport ist doppeldeutig“, hat Theodor Wiesengrund Adorno gemahnt, „auf der einen Seite kann er antibarbarisch und antisadistisch wirken durch Fair play, Ritterlichkeit, Rücksicht auf den Schwächeren. Andererseits kann er in manchen seiner Arten und Verfahrungsweisen Aggression, Roheit und Sadismus fördern, vor allem in Personen, die nicht selbst der Anstrengung des Sports sich aussetzen, sondern bloß zusehen; in jenen, die auf dem Sportfeld zu brüllen pflegen.“ Was sich am weit fortgeschrittenen Abend wieder einmal bestätigen sollte, als die Diskussionsrunde einer Geburtstagsparty tief in die Widersprüche der Welt vorgedrungen war und dabei auch die Gedankenwelt des kritischen Philosophen streifte. Zeitgleich aber der zu zunehmender Verrohung neigende Rest einer Männerhorde, die nachmittags auf dem Kickplatz herumgebrüllt hatte, nur halbherzig dem zu folgen bereit war, und statt Margaret Meads Trobriander-Theorien immer wieder die Tore der Todt und Co. ins Spiel zu bringen suchte.

„Unglaublich, dieses Publikum“, hatte auch der abgebrochene Philosophiestudent und Jung-Bertianer Jens Todt konstatiert. „Zweimal haben wir geführt, zweimal haben wir den Ausgleich kassiert, die haben uns trotzdem immer den Rücken gestärkt.“ Ausgelöst wurde diese Verwunderung über die euphorisierten Zuschauer im zum 23. Mal in Folge ausverkauften Dreisamstadion vor allem durch den Umstand, daß der Sport Club seine Führungen trotz Überzahlspiel vergeigt hatte, nachdem der wenig ritterlich eingrätschende Kölner Higl schon früh die gelb- rote Karte gesehen hatte.

Aber gerade darin lag wohl die Erklärung für die überbordende Stimmung im Stadionrund: die Fans feierten die Wiederkehr der Sport-Club-Kinderkrankheiten. Während in den vergangenen Wochen auch im anderen Freiburg das Fußball-Realitätsprinzip („Lieber ein Punkt als keiner“) Raum zu greifen schien, brachen am Samstag wieder die Lustdämme. „Wenn wir führen, kannst du doch keinen Manndecker mehr hinten halten“, hat Jens Todt unlängst beschrieben, wie sich diese Mentalität auf dem Rasen ausdrückt.

Auch am Samstag mußten sich zehn Kölner noch bei Rückstand auf ihr Konterspiel beschränken, um dann aber in der Deckung der Breisgauer immer wieder auf beeindruckende Hühnerhaufen- Ordnungen zu treffen. Die Rheinländer brauchten zwar ihre Zeit, bis sie kapierten, was da gespielt wurde, dann aber hielten sie dagegen, daß es eine Freude war.

Selbst der vom Wesen her eher zur Langeweile neigende Bodo Illgner zeigte sich vom rasanten Spiel und den gewaltigen „Andy Köpcke“-Sprechchören derart inspiriert, daß er zum tragischen Helden avancierte. 89. Minute, 2:3-Rückstand, Kölner Angriff, Flanke, Bodo in Mittelstürmerposition, erwischt den Ball mit dem Kopf, aber nicht richtig, Weiser schießt, Schmadtke-Reflex, schneller Gegenstoß, leeres Tor, 4:2. Nach dem Spiel sinnierte Uwe Spies, der den finalen Konter abgeschlossen hatte: „Ja, ja, zweimal geführt, zweimal der Ausgleich – aber ich persönlich finde diese Art zu spielen schöner.“ Sätze, die man sich zu fortgeschrittener Stunde in männerbündlerischen Partyzirkeln noch einmal auf der Zunge zergehen läßt. Das wäre Freiburg: Kein pures Streben nach nüchternem Erfolg, sondern der permanente Versuch, ihn ästhetisch zu begründen. Der Angriffswirbel als subversive Attacke auf die bestehende Fußballordnung. Und zumindest davon hätte Adorno nun wirklich gar nichts verstanden.

1. FC Köln: Illgner - Stumpf (46. Andersen) - Higl, Baumann - Zdebel, Hauptmann, Rudy, Janßen, Weiser - Labbadia (62. Kohn), Polster

Zuschauer: 17.500 (ausverkauft)

Tore: 1:0 Cardoso (43.), 1:1 Zdebel (65.), 2:1 Todt (76.), 2:2 Janßen (79.), 3:2 Spanring (84.), 4:2 Spies (90.), gelb-rote Karte: Higl (17./wiederholtes Foulspiel)

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