: Freunde und Feinde des Nazisystems nennen
■ Der Historiker Manfred Messerschmidt will, daß das Land der Täter dargestellt wird
taz: Sie sind Mitglied im Kuratorium der Initiatve für ein zentrales Holocaust-Museum in Deutschland. Warum?
Manfred Messerschmidt: Genau deshalb, weil es ein zentrales Museum werden soll. Weil hier Aspekte, die in anderen Gedenkstätten nur peripher behandelt werden können, zusammengefaßt sind. Ich finde, im Land der Täter ist eine solche Einrichtung unabdingbar, um Möglichkeiten zu schaffen, mit der jungen Generation zu diskutieren, sie zur Mitarbeit anzuregen. Ich freue mich auch über die Möglichkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit, denn wir wollen die verschiedenen Blickwinkel in einen Zusammenhang stellen und hoffen, daß da keine Konkurrenzsituation mit anderen Museen entsteht, wir wollen mit ihnen zusammenarbeiten.
Die Mehrheit will, daß das Projekt in Berlin realisiert wird. Hier gibt es aber die Ausstellung „Topographie des Terrors“, die „Gedenkstätte deutscher Widerstand“, das „Haus der Wannseekonferenz“. Und auf dem Pariser Platz soll etwas entstehen, von dem noch nicht klar ist, ob es Mahnmal, Gedenkstätte oder Museum wird. Wie kann sich das geplante Museum in die vorhandene Gedenkstätten- Landschaft integrieren?
Das ist eine schwierige Frage, das müssen wir noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Im Moment befinden wir uns sicherlich in einer Konkurrenzsituation, auch um die knappen Mittel. Die Wannsee-Gedenkstätte bezieht sich auf den Beschluß zur „Endlösung“, auch in der „Topographie des Terrors“ wird sehr stark die Täterdimension behandelt. Wir dagegen wollen das Verhältnis von Tätern und Opfern noch deutlicher machen als zum Beispiel in der „Gedenkstätte deutscher Widerstand“: Wie hat sich diese Beziehung im Verlauf des Krieges geändert?
Also beispielsweise von der Befürwortung der Politik Hitlers durch weite Teile der deutschen Bevölkerung nach der Niederlage Frankreichs bis zu dem Zeitpunkt, als man erkannte, daß Hitler den Krieg verlieren wird. Als der Bombenkrieg begann, konnte plötzlich jeder sehen, daß die Propaganda falsch war. Sie konnte die Leute nicht mehr überzeugen, weil sie tagtäglich die Überlegenheit der alliierten Luftwaffen vor Augen hatten. Das hat sich natürlich auf die innere Stabilität der sogenannten „Volksgemeinschaft“ ausgewirkt und andererseits aber auch den Terror verstärkt. So gibt es Wandlungen in dem Verhältnis zwischen Opfern und Tätern, im Verhalten der Deutschen, in der Bereitschaft zu denunzieren oder vielleicht doch, andere zu decken. Das ist, glaube ich, in den vorhandenen Institutionen noch nicht genug thematisiert worden.
Wie kann man diese Spannung im Museum darstellen?
Es ist nicht leicht, das anschaulich zu machen. Wir wollen aber auch thematisieren, warum es zu einer intensiven Aufarbeitung in der Nachkriegszeit nicht gekommen ist. Fünfzig Jahre danach ist ja eigentlich viel zu spät. Woran hat das gelegen, welche Hinderungsgründe gab es? Zum Beispiel das Problem, die Täter namentlich zu nennen. Schließlich waren sehr viele kleine und mittlere Täter nach dem Krieg in führenden Positionen tätig.
Sind Sie als Militärgeschichtler dafür, daß die Wehrmacht genau benannt wird, als Täter und Mithelfer bei der Vernichtung der Juden?
Aber ja, ganz eindeutig. Die Wehrmacht hatte dadurch eine hohe Verantwortung, daß sie bis 1945 die Menschen zwang, bei der Stange zu bleiben, daß sie Deserteure mit Todesurteilen bedrohte und diese auch exekutierte. Das Ergebnis war ja im Grunde die Zerstörung vieler materieller, aber auch geistiger Grundlagen der eigenen Gesellschaft des deutschen Volkes.
Denn Ereignisse wie die Bombardierung Dresdens gehen ja letztendlich auf die Verantwortung der Männer zurück, die im Grunde schon wußten, daß sie den Krieg gar nicht mehr gewinnen konnten. Auch den Anteil der Wehrmacht an der Partisanen- und Judenvernichtung müssen wir nennen. Aber der Schwerpunkt soll in Deutschland liegen. Da begegnen wir den Tätern in ganz unterschiedlichen Berufen: als Richter, Staatsanwälte, Mediziner ...
... und kleinen Schreibkräften, die Transportlisten abschreiben ...
... und auch Denunzianten sein können. Wenn man die Täter generell fassen will, muß man sie auch als die Stabilisatoren dieses Systems begreifen. Viele haben dafür gesorgt, daß das System bis zum Schluß funktioniert hat.
Konkret zu den Deserteuren: Sind sie Opfer, Betroffene oder oder sind sie Widerständler?
Wir halten diese Trennung zwischen Opfern und Betroffenen für ganz unglücklich. Wir müssen viel mehr herausarbeiten, wer Freund des Systems und wer Feind der nazistischen Gemeinschaft war. Das trennt dann die Opfer von den Tätern.
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