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„Denkverbote helfen nicht weiter“

Rot-grüne Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt zog nach 100 Tagen eine erste Bilanz / Zurückhaltung vor der Bundestagswahl / Direkt nach dem 16. Oktober erstes Gespräch mit der PDS  ■ Von Eberhard Löblich

Magdeburg (taz) – Einhundert Tage ist sie im Amt, die rot-grüne Minderheitsregierung von Sachsen-Anhalt unter Ministerpräsident Reinhard Höppner. Einhundert Tage übt sich diese Regierung zwangsläufig in Zurückhaltung. Denn kaum war Höppner vereidigt, wurde das Modell Sachsen- Anhalt zum Wahlkampfschlager der CDU. Mit parlamentarischen Initiativen ging das Kabinett Höppner deshalb vorsichtig um. Man wollte vor den Bundestagswahlen am 16. Oktober nicht allzu häufig auf die PDS angewiesen sein.

Ganz untätig sei sein Kabinett aber trotz dieser parlamentarischen Zurückhaltung nicht gewesen, befand Höppner, als er gestern seine erste Bilanz vorlegte. So verwies der sozialdemokratische Ministerpräsident stolz auf die arbeitsmarktpolitischen Initiativen seiner Regierung, insbesondere auf Programme, die Frauen sowohl in den ersten wie auch in den zweiten Arbeitsmarkt integrieren sollen.

„Das Sofortprogramm unserer Regierung trägt deutlich eine rot-grüne Handschrift“, verkündete der Ministerpräsident stolz. So will sein Kabinett zum Beispiel mit einer Zentralen Ermittlungsgruppe gegen Rechtsextremismus an die Erfolge der sächsischen SoKo Rex anknüpfen. Mit der Einsetzung polizeilicher Ausländerbeauftragter und ihrer speziellen Weiterbildung will Höppner erreichen, daß sich Vorwürfe gegen die Polizei wie am Himmelfahrtstag nicht noch einmal wiederholen.

Ein klarer Erfolg seiner Politik lasse sich jetzt schon ausmachen, befand Höppner: „Durch die vielbeschworenen Magdeburger Verhältnisse ist endlich auch im letzten Winkel Westdeutschlands angekommen, daß die Einheit nicht bloß eine Erweiterung der alten Bundesrepublik darstellt, sondern diese Republik auch verändert hat.“ Daher müsse man nun akzeptieren, wenn in diesem Land viele Menschen ihre Stimme einer Partei geben, die „quer zur traditionellen politischen Arithmetik der alten Bundesrepublik“ liege. „Ausgrenzung, Denkverbote und politische Kontaktsperren helfen uns allen nicht weiter.“ Dabei war es Höppner selbst, der sich bis zur Bundestagswahl eine eiserne Kontaktsperre gegenüber der PDS auferlegt hatte. Waren Kontakte unvermeidlich, so mußte der bündnisgrüne Fraktionschef Hans-Jochen Tschiche den politischen Postillon d'amour spielen.

Kaum war die Wahl überstanden, lud der Ministerpräsident jedoch die PDS-Fraktionsvorsitzende Petra Sitte zum Gespräch und holte sich von ihr die Zusage, daß an der PDS ein rot-grünes Reformprojekt nicht scheitern werde. Nach diesen PDS-Zusagen, das merkt man ihm an, ist Höppner überzeugt, daß das rot-grüne Minderheitsbündnis auch noch weitere 1.000 Tage bis zum regulären Ende der Legislaturperiode hält.

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