: Geiselgangster jagen quer durch Deutschland
■ Zwei Schwerstverbrecher nahmen mehrere Geiseln, überfielen eine Bank und waren gestern abend noch auf der Flucht / Im Telefoninterview: „Wir haben nichts zu verlieren“
Stuttgart/Erfurt (dpa) – Zwei bewaffnete Gangster brachten gestern auf einer Fahrt quer durch Deutschland mehrere Geiseln in ihre Gewalt, überfielen eine Bank und lieferten sich wilde Schießereien mit der Polizei. Es handelt sich um zwei Schwerstverbrecher, die vor drei Wochen aus dem Hamburger Gefängnis Santa Fu ausgebrochen waren.
Am Montag morgen kidnappten sie zunächst einen fünfundzwanzigjährigen Polizisten und seine zweiundzwanzigjährige Kollegin in Stuttgart. Die beiden wurden nach Fulda verschleppt, wo die Gangster eine Bank überfielen. Der Polizist wurde gezwungen, bei der Tat zu helfen. Mit einer Beute von 250.000 Mark und den Geiseln konnten die Räuber in einem dunklen Mercedes flüchten. Von Hessen ging es nach Thüringen. Nahe einem Forsthaus bei Schmalkalden im Raum Suhl wurden die Geiseln freigelassen.
Mit mindestens zwei weiteren Geiseln verschanzten sich die Gangster anschließend in einem Haus bei Eisenach. Dabei kam es zu Schußwechseln. Dem Duo gelang es erneut zu flüchten: Von der Polizei verfolgt, rasten sie am späten Nachmittag mit einem Auto weiter durch Thüringen. In ihrer Gewalt befanden sich nach Angaben des hessischen Landeskriminalamtes drei neue Geiseln. Wie aus Sicherheitskreisen bestätigt wurde, drohten sie der Polizei, bei weiterer Verfolgung eine Handgranate im Fluchtauto zu zünden. Sicherheitskreise befürchteten, daß die Männer außerdem seit der Geiselnahme der Polizisten im Besitz einer Maschinenpistole sind.
Einer der beiden ist Raymond Albert – früher Einzelkämpfer der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR –, wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Thüringer hatte mit drei Komplizen einen Gastwirt erdrosselt und enthauptet. Der Schweizer Gerhard Polak war 1988 schon einmal aus dem Hamburger Gefängnis „Santa Fu“ ausgebrochen. Er saß wegen räuberischer Erpressung im Gefängnis.
In einem Interveiw mit RTL2 über das Autotelefon im Fluchtwagen sagte einer der beiden, nachdem eine Geisel bei einem Schußwechsel verletzt worden war: „Dann waren wir halt so in der Bredouille und gezwungen, uns so zu schützen. ... Deshalb haben wir der Polizei gesagt, sie sollen uns ziehen lassen. Die können uns auch abknallen, mir ist das egal, weil ich nichts mehr zu verlieren habe – und mein Kollege auch nicht.“
Zu dem Interview kam es, weil die Gangster in Eisenach den Wagen eines frei für RTL arbeitenden Kameramannes in ihre Gewalt brachten. Sie zwangen den Mann, das Auto zu verlassen.
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