: Keine Angst vor der Wiederholung
■ Die Polizei hat aus dem Geiseldrama von Gladbeck gelernt und rief die Medien zu Besonnenheit auf. Selbst die Geiselnehmer wollten es nicht zu einem zweiten Gladbeck kommen lassen. Und die Journalisten?...
Die Polizei hat aus dem Geiseldrama von Gladbeck gelernt und rief die Medien zu Besonnenheit auf. Selbst die Geiselnehmer wollten es nicht zu einem zweiten Gladbeck kommen lassen. Und die Journalisten? Wir berichten, wie Journalisten berichten.
Keine Angst vor der Wiederholung
Ein Medien-GAU wie das „Geiseldrama“ von Gladbeck ist die Odyssee der Geiselnehmer Raymond Albert und Gerhard Polak durch die Republik nicht geworden. Die Polizei verhinderte durch konsequentes Absperren das direkte Engreifen von Journalisten in das Geschehen und damit die „Gefährdung der Polizeiarbeit durch Medienaktivitäten“. Drei Stunden nach einer dringenden Bitte an die Presse, sich zurückzuhalten, gab das federführende hessische Landeskriminalamt (LKA) in Wiesbaden gestern gegen 14 Uhr Entwarnung: Bis auf „einige Ausnahmen“ verhalte sich das „massive Aufgebot“ der rund 150 Journalisten vor Ort „kooperativ und geordnet“. Dazu habe aber der Druck der Polizei geführt, so ein LKA-Sprecher, weniger die Einsicht der Presseleute. „Viel dazugelernt haben die Journalisten seit Gladbeck wohl nicht.“
Tatsächlich hatten am Montag abend die kommerziellen TV-Sender RTL 2 und RTL Autotelefongespräche mit dem Geiselnehmer Polak und einer Geisel gesendet. Auch Sat.1 übernahm Ausschnitte. Nahezu alle anderen kommerziellen Radios und TV-Sender sowie viele Zeitungen zeigten danach Interesse an dem Material, wie der Chef vom Dienst der RTL 2-Nachrichtensendung „Action News“, Christoph Kucklick, der taz gestern sagte.
Die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF sowie n-tv versprachen der taz gestern auf Nachfrage, daß sie grundsätzlich keine Gespräche mit Geiselnehmern und Geiseln senden würden.
Die private Konkurrenz äußerte sich dagegen verhaltener. Während ARD und ZDF sich als Konsequenz aus Gladbeck an die Polizeianweisungen halten, den „Live-Charakter“ herunterfahren und „Jagdszenen“ vermeiden wollten, stehen die Privaten voll in der Quotenkonkurrenz: „Wir berichten ohne besondere Regeln so, wie wir über alle anderen aktuellen Ereignisse berichten“, hieß es bei Sat.1. Auch RTL, das sich nach eigener Aussage auf das Senden eines Satzes des Geiselnehmers beschränkt hatte, wollte nicht von einer „Grundsatzentscheidung“ sprechen. Ebenso „Action News“ von RTL 2. „Ich kann solche Gespräche nicht grundsätzlich für jeden Einzelfall ausschließen“, so Chef vom Dienst Kucklick, der mit den Geiselnehmen telefoniert hatte. Er halte die Entscheidung für vertretbar, weil das Gespräch mit Polak „kein dramatischer Eingriff, keine Vermittlung“ gewesen sei. „Ich hatte nicht den Eindruck, daß die durchgeknallt sind, daß eine Explosion des Geschehens bevorsteht.“ Eine saubere Entscheidung zu treffen sei in der Konkurrenzsituation und unter Zeitdruck nicht einfach. Außerdem verwies der RTL 2-Mann auf die Doppelmoral mancher Kollegen: „Wer das Material nicht bekommen hat, der kann sich jetzt leicht hinstellen und das Telefonieren mit den Geiselnehmern verurteilen.“
Nach den Toten von Gladbeck war die deutsche Presse eigentlich in sich gegangen. Der Italiener Emanuele de Georgi starb vor laufenden Kameras. Das soll nie wieder vorkommen, schwor man damals. Und um dies zu kontrollieren, hatte auch nun wieder jeder Sender, jede Zeitung, jedes Magazin Reporter vor Ort. Und wegen der Informationspflicht.
„Die Polizei läßt uns nicht heran“, berichtet da der n-tv- Mann, „wir müssen in großem Abstand hinter den Geiselgängstern herfahren, wir sehen praktisch nichts und die Polizei geizt mit Informationen.“ Ähnliches beklagen auch die Kollegen von den „Tagesthemen“: „Vorher ging die Verfolgung noch ganz flott. Nun müssen wir im Schrittempo hinter den Polizeiautos herfahren, die die Autobahn versperren.“
Auf allen Kanälen sieht man am Montag abend bis spät in die Nacht Reporterautos hinter den Polizeiwagen herfahren. Diejenigen, die sich auf den Seitenstraßen ans Geschehen anpirschen wollen, sieht man nicht. Erfolg haben sie keinen. Die Polizei hat großräumig alles abgesperrt, Bereitschaftspolizei und die GSG 9 halten Geiselgängster und Journalisten auf Abstand. „Wir wollen kein zweites Gladbeck“, sagt die Polizeiführung immer wieder und bittet die Medienvertreter eindringlich, die Polizeimaßnahmen nicht zu gefährden.
Auch Raymond Albert und Reinhard Polak wollen kein Remake: „So was wie in Gladbeck passiert uns nicht. Wir sind ganz normale Menschen, verstehen Sie? Wir sind ganz klar und kühl.“ So stand es im Interview der Bild-Zeitung. Allerdings waren die Jungs von der Großbuchstabenabteilung nur zweiter Sieger: RTL hatte das Rennen gewonnen. Aus bloßem Zufall, wie die Redaktion versichert. Denn die Geiselnehmer nahmen ausgerechnet ihrem Kameramann das Auto ab. Just in dem Moment versuchte RTL, ihren Angestellten anzurufen, und, welch Überraschung, da war doch glatt einer der Täter am Apparat. Ganz schnell habe man das Gespräch abgewürgt, nachdem klar war, was passiert war, sagt die Redaktion. Und doch wurde es auf Band festgehalten und später auch gesendet.
Noch ein wenig später, und man wird sich dafür entschuldigen, wie damals nach Gladbeck. Eine „Riesendummheit“ seien die RTL-Interviews während des Gladbecker Geiseldramas gewesen, geißelte sich die stellvertretende RTL- Chefredakteurin Margret Deckenbrock hernach, und fiel damit in den Chor der Medien ein, die allesamt wochenlang ihre eigene Rolle kritisch reflektierten. Schließlich bringen auch öffentliche Kniefälle und rollende Köpfe Auflage, bis zum nächsten Mal.
Nach dem Fiasko im August 1988 haben diesmal also nur RTL, RTL 2 und die Bild-Zeitung gegen die Anordnung des Presserates, mit Geißelnehmern nicht in Kontakt zu treten, mißachtet. Mit schlechtem Gewissen allerdings. So tarnte RTL 2 sei Interview mit der Sorge um seinen Kollegen. „Was ist mit unserem Kameramann?“ Hans-Herrmann Kotte,
Michaela Schießl
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