Jelzins neuer Vize

■ Reformer Tschubai ernannt

Moskau (taz) – Überraschend ernannte Rußlands Präsident Jelzin am Wochenende Anatolij Tschubais zum ersten stellvertretenden Vizepremier. Als bisheriger Privatisierungsminister hatte er, fast gänzlich auf sich allein gestellt, die Mammutaufgabe in Angriff genommen, Rußlands Eigentumsverhältnisse umzustrukturieren. Dieses heikle Unternehmen machte ihn zum bestgehaßten Politiker. Den neuen Vize begleitet der Ruf eines kompromißlosen Reformers. Fällt der Name Tschubais, sieht die Opposition rot. Wiederholt forderte sie von Jelzin den Rücktritt des rothaarigen Ministers, der der Reformregierung ohne Unterbrechung seit der ersten Stunde angehört. Zwischenzeitlich rechnete man damit, der Präsident ließe sich darauf ein, um die Opposition ruhigzustellen.

Ende letzter Woche war Wirtschaftsminister Schochin, der den zentristischen Kräften zuzurechnen ist, aus Protest gegen die Ernennung Wladimir Panskows zum neuen Finanzminister zurückgetreten. Schochin zweifelte an der Entschlossenheit des altgedienten Finanzbürokraten, den von der Regierung angekündigten Sparkurs im Haushaltsjahr 95 mittragen zu wollen. Unterdessen verlautet aus Reformkreisen, Panskow sei ein Kompromißkandidat, mit dem man leben könne. Jelzins Entscheidung hatte Spekulationen Auftrieb gegeben, er sei schrittweise bereit, den Forderungen der Opposition nachzukommen. Erst vor zwei Wochen schaßte Jelzin seinen liberalen Landwirtschaftsminister, um ihn durch einen Konservativen zu ersetzen.

Mit Tschubais Aufwertung will Jelzin womöglich Gerüchten um einen Kurswechsel ein Ende setzen. Tschubais gab sich in seiner ersten Stellungnahme außerordentlich versöhnlich: „Heute kann man Reformer von Reformgegnern nicht mehr durch Worte oder Reden, sondern durch ihre Taten unterscheiden.“ Die Hauptaufgabe sei der Haushaltsentwurf 95, so Tschubais, „dessen Initiator Viktor Tschernomyrdin ist. Für mich ist das ein Reformbudget und die Regierung, die es ausgearbeitet hat, eine Reformregierung.“ Klaus-Helge Donath