: Lüge und Wahrheit ununterscheidbar
■ betr.: „Gregor Gysi: Sie jagen mich“, taz vom 4.11.94
Warum, Herr Gysi, werden Sie wohl „als einzelne Person“ gejagt? Nicht weil sie (mit wenigen Ausnahmen) allein die PDS verkörpern? Zweifelsfrei eine Partei mit mehr personellen Altlasten, als das Bündnis 90! Und wie in der Affäre um das Parteivermögen geprobt, bringen Sie nur langsam Licht in das Dunkel der Vergangenheit. Da werden (wahrscheinlich) zu Unrecht vom Wähler Enttäuschte und Vergessene schon mal ungeduldig. Ihre politischen Verdienste in Ehren, aber anders als Sie meine ich nicht, daß Bündnis 90/Grüne (Neues Forum) ihre Wahlschlappe „selbst vertreten“ müssen, etwa wegen schlechter Präsentation. [...]
In der deutschen Politiklandschaft wimmelt es von Peinlichkeiten und Enttäuschungen. Das Ergebnis der Bündnis 90/Grünen, das Vergessen der Leute vom Neuen Forum samt ihren politischen Entwürfen für die Zukunft war für mich die Ost-Enttäuschung vom Oktober 94. Und was geht Sie das an? Scheinbar nicht viel, wenn Sie Bündnis 90/Die Grünen (Neues Forum) für „politikunfähig“ halten. Nun, wohl niemand beneidet Sie alle um die Arbeit bei der Bewältigung der „Stasi-Vergangenheit“. Von außen betrachtet – oder ist das von „innen“ gesehen genauso, gehen Wahrheit und Lüge ununterscheidbar ineinander über. Schwamm drüber. Ich warte auf Ihre taz-Doppelseite zur Veränderung und Gestaltung unserer Gesellschaft. Schade, wenn dabei die Ziele ihrer außerparlamentarischen „Jäger B 90/Grüne/NF“ keine „beachtliche Rolle spielen können“!? Tobias Postulka, Langenberg
Ich finde es sehr fair von Euch, daß Ihr Gregor Gysi den Platz einräumt, in einem angemessenen Rahmen seine Sichtweise der gegen ihn vorgebrachten Anklagen darzulegen. Das hebt Euch und Eure Zeitung wieder einmal aus dem Pressematsch der anderen Tageszeitungen heraus.
Ich habe mich immer schon gefragt, was die BürgerrechtlerInnen, die Gysi seit mehreren Monaten attackieren, mit ihren Angriffen bezwecken wollen. Was immer Gysi tatsächlich mit der Stasi zu tun gehabt haben mag (als Wessi ist man ja grundsätzlich überfordert mit dieser Stasi-Geschichte), es sieht doch immerhin so aus, als habe er sich für seine MandantInnen zu DDR-Zeiten immer voll eingesetzt, gefälligst das getan, was man von einem Anwalt erwarten kann. [...]
Mir würde es leid tun, wenn Gregor Gysi sich niedermachen läßt. Gysi stellt kluge Fragen, hat zum Teil kluge Antworten und – das ist für mich das wichtigste – hat gezeigt, daß man Politik auch mit Ironie und Witz machen kann. Er ist ein richtiger Mensch und keine farblose Worthülse mit wechselnden Krawatten. [...] Sascha Langenbach, Hamburg
Rechtsanwalt Gysi gibt den Inhalt von Briefen und Gesprächen mit ehemaligen Mandanten in der Öffentlichkeit preis, er beschreibt sogar einen Ehekrach, um unbequeme Fragesteller ins rechte Licht zu setzen. Die taz druckt den Mist, ja raff' ich's noch! Yellow Press oder Zentralorgan der PDS?
Herr Gysi war 20 Jahre in der SED und deren letzter Vorsitzer. Ist es denn wirklich so, daß, nur weil Honecker und Mielke viel weniger Blut an ihren Pfoten hatten/ haben als Pinochet & Co – Schwamm drüber? Die Opfer dürfen verhöhnt werden? Die SED, ein Haufen von wahlfälschenden Unterdrückern, real existierenden aktiven Mitläufern und schlimmerem stand 1989 vor dem Aus. Gysi hat daraus inzwischen die bunte Truppe gemacht, und alle stehen jetzt voll auf Demokratie. Herr Gysi beklagt, daß ihn seine JägerInnen viel Zeit kosten, ich bedauere, daß Gysi soviel in die taz schreibt. [...] Bernd Zarneckow,
Munderkingen
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