: Hamburg und die „Weiße Rose“
■ Vor 50 Jahren: Reinhold Meyer, 24, in Fuhlsbüttel ermordet
Widerstand gegen den Faschismus gab es im deutschen Buchhandel kaum. Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt der Hamburger Buchhändler und Germanistikstudent Reinhold Meyer dar, was aber seine Heimatstadt Hamburg erst spät zu würdigen wußte.
Am 12. November 1944 kam Reinhold Meyer im Konzentrationslager und Polizeigefängnis Fuhlsbüttel ums Leben. Er starb mit 24 Jahren nach einem Gestapo-Verhör in den Armen eines Mithäftlings. Meyer gehörte zum Hamburger Zweig der „Weißen Rose“, dem norddeutschen Ableger der Widerstandsgruppe um die Geschwister Sophie und Hans Scholl und dem Philosophie-Professor Kurt Huber.
Anfang der Siebziger wurde schließlich eine Gedenktafel des Bildhauers Fritz Fleer in den Boden des Audimax der Universität eingelegt. Die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) hatte die Ehrung gefordert und damit die Anregung des Hamburger Professors Wilhelm Flittner aufgegriffen: „Mir läge daran, daß auch einer Studentengruppe gedacht wird, die 1943 in meinem Oberseminar war und die im Zusammenhang mit der Tat der Geschwister Scholl aufgespürt wurde. Reinhold Meyer war ein besonders begabter, feinsinniger und aufrechter Mensch. Er ist im Zuchthaus gestorben und verdiente, daß sein Name von der Studentenschaft geehrt würde.“ Neben Meyers Namen sind die drei weiterer Studenten, die ihren Widerstand mit dem Leben bezahlen mußten, in die Platte eingraviert: Hans Leipelt, Magaretha Rothe und Frederick Geussenheimer. Auf Beschluß des Ortsausschusses Lokstedt wurden 1981 in Niendorf-Nord elf Straßen nach Frauen und Männern aus dem Widerstand benannt, auch die Reinhold-Meyer-Straße.
Das rigorose Vorgehen der Nazis gegen die „Weiße Rose“ und der frühe Tod ihres Bruders ließen Meyers Schwester Anneliese Tuchel in ein Jahrzehnte dauerndes Schweigen fallen. In der Nazizeit durfte sie darüber nicht sprechen, danach konnte sie nicht. „Wenn aber keine Zeitzeugen mehr da sind, die von den damaligen Vorgängen berichten können, droht ein drittes, endgültiges Schweigen. Das darf nicht sein“, sagt sie heute. Anläßlich des 150jährigen Bestehens der theologischen Fachbuchhandlung, die sie an Stelle ihres Bruders nach dem Krieg übernommen hatte, brachte sie gegen das Vergessen die Gedenkschrift „Der braucht keine Blumen. In Erinnerung an Reinhold Meyer“ heraus.
Schon bald nach dem Abitur nahmen Meyer und einige ehemalige Klassenkameraden Kontakt zu oppositionellen Gruppen auf. Im Anthropologischen Kolloquium, unter Leitung von Professor Wilhelm Flittner, trafen sich Kritiker und Gegner des Nationalsozialismus. Dort verbreiteten Reinhold Meyer und seine Kommilitonen bei aller Vorsicht humanistisches Gedankengut und zitierten mutig Passagen verbotener Literatur.
Zu einem festen Treff entwickelte sich auch die Buchhandlung von Johannes P. Meyer, dem Vater von Reinhold, am Jungfernstieg 50. Im Keller des Hauses wurde über von den Nazis verbotene Bücher und Schriften diskutiert. Dazu kamen außer Studenten auch Künstler und Intellektuelle wie der Jazzmusiker Olaf Hudtwalcker oder der Schriftsteller Louis Satow. „Die Abende hatten schon fast den Charakter einer sich organisierenden Gemeinschaft. Man traf sich hier im größeren Kreise, laufend kamen neue, ebenfalls oppositionell gestimmte Menschen hinzu, und beinahe systematisch wurden hier auf hohem Niveau alle uns junge Menschen bewegenden Fragen diskutiert“, erinnerte sich der zum Kern der Gruppe gehörende Heinz Kucharski später. Im Herbst 1942 las man die ersten Flugblätter der „Weißen Rose“. Traute Lafrenz, die in München studierende Vertraute der Geschwister Scholl, hatte sie mit nach Hamburg gebracht. In der Buchhandlung wurden zudem regelmäßig Kunstausstellungen veranstaltet, deren Ruf über Hamburg hinaus reichte. Unter anderen wurden Werke des Kokoschka-Schülers Friedrich Karl Gotsch gezeigt. Der Künstler war ein offener Kritiker der Malerei des Dritten Reiches.
Durch die Ausstellungen lernte Reinhold Meyer die Maler der Worpsweder Kolonie kennen. „Dorthin hat mein Bruder sehr enge Fäden geknüpft. In Worpswede gab es einen Kreis um Manfred Hausmann und Waldemar Augustiny, die waren bekannt als Nazi-Gegner“, berichtet Anneliese Tuchel über die Verbindung ihres Bruders zu den regimekritischen Künstlern in dem idyllischen Ort bei Bremen.
Nach der Hinrichtung der Scholls im Februar 1943 verließ Meyer Hamburg. Im Harz fand er bei einem Freund des Vaters Unterschlupf. Die Gestapo aber fand ihn und verhaftete ihn im Dezember 1943 wegen des Verdachts auf „Vorbereitung zum Hochverrat“. Ein halbes Jahr war er im Konzentrationslager und Gestapogefängnis Fuhlsbüttel in Einzelhaft. Zum Prozeß gegen ihn kam es nicht mehr. Nach einem dreimonatigen Arbeitseinsatz im KZ Neuengamme brachte man Reinhold Meyer im Oktober wieder nach Fuhlsbüttel, wo er einen Monat später umkam. Mindestens 250 Menschen ließen in „Kola-Fu“, wie es im damaligen Sprachgebrauch hieß, zwischen 1933 und 1945 ihr Leben. Sie starben an Mißhandlungen, durch Folter oder wurden von der Gestapo zur Selbsttötung getrieben.
Über den 30 bis 50 Personen starken Widerstandskreis der Hamburger „Weißen Rose“ gibt es noch einiges aufzuarbeiten. Einen Anfang hat Anneliese Tuchel mit ihrer Dokumentation gemacht. Zwei Koffer aus dem Nachlaß ihres Bruders wird sie der Münchener „Weiße Rose Stiftung“ zur Auswertung durch eine Doktorandin übergeben. Die Resonanz auf erste Berichte über das Schicksal Reinhold Meyers – Frau Tuchel hat bisher über 500 Briefe erhalten – zeigt den Bedarf an der Erforschung des Hamburger Zweigs der „Weißen Rose“. Volker Stahl
Dokumentation erhältlich in der Buchhandlung , Jungfernstieg 50
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