: Ein kleines bißchen Staatsbürgerschaft
■ Bonner Vorschlag zur Ausländerpolitik stößt bei türkischen Verbänden und der Ausländerbeauftragten auf Ablehnung
Der Kompromiß der Bonner Regierungskoalition um die doppelte Staatsbürgerschaft hat in Berlin gestern heftige Reaktionen bei den türkischen Verbänden ausgelöst. In den Koalitionsverhandlungen hatten sich CDU, CSU und FDP darauf geeinigt, Kindern ausländischer Mitbürger zusätzlich zur ausländischen Staatsbürgerschaft eine deutsche „Staatszugehörigkeit“ anzubieten.
Der „Bund der Einwander/Innen aus der Türkei“ (BETB) in Berlin und Brandenburg nannte den Vorschlag einen „lächerlichen Kompromiß“, mit dem die Öffentlichkeit getäuscht werde. Es werde der Anschein erweckt, „als werde eine erleichterte Einbürgerung teilweise unter Hinnahme einer doppelten Staatsbürgerschaft eingeführt“. Betroffen sind von dieser „Schnupper-Staatsangehörigkeit“, so die wohlklingende Umschreibung von Bayerns Innenminister Beckstein, nur Kinder unter 18 Jahren, deren Eltern seit mindestens zehn Jahren in Deutschland leben. Ein Elternteil muß außerdem in Deutschland geboren sein. Im Gegensatz zur vollen Staatsbürgerschaft sind mit der doppelten Staatszugehörigkeit bei einer Straftat weder die Eltern noch die Kinder selbst vor der Abschiebung geschützt. Außerdem müßten sich die Jugendlichen, wenn sie 18 Jahre alt sind, entscheiden, welche Staatsbürgerschaft sie annehmen.
Für die Einwandererbevölkerung sei, so der Sprecher des BETB, Ertekin Özcan, diese „Baby-Staatsbürgerschaft“ eine „bittere Enttäuschung“. Die sieben Millionen Nichtdeutschen würden weiterhin als „Ausländer mit minderen Rechten“ hier leben.
Die Ausländerbeauftragte des Landes Berlin, Barbara John, erklärte, bei der geplanten Einbürgerungsregelung handle es sich nicht um eine Einbürgerung, sondern vielmehr um eine „Ein-bißchen Einbürgerung oder um Ein-Bißchen-Gleichheit“. Sie sehe ein Staatsbürgerschaftsangebot als eine „Einladung an die Minderheitenbevölkerung, am gesellschaftlichen und politischen Leben teilzunehmen und in verantwortlicher Weise Demokratie auf allen Ebenen mitzugestalten“. Die Bestimmung dieser Einladung sei jedoch verfehlt, wenn die Eingeladenen „nur an den hinteren Tischen Platz nehmen dürfen“.
Ertekin Özcan vom BETB sieht in dem Schritt der Koalition eine „Zwei- und Dreiteilung der Türken, die hier seit dreißig oder mehr Jahren wohnen“. Von den zirka 150.000 in Berlin wohnenden TürkInnen würden fast alle die doppelte Staatsbürgerschaft annehmen, wenn dies ermöglicht werde. Unmöglich sei es, die Zahl der Nutznießer der „Kinderstaatsbürgerschaft“ annähernd zu schätzen.
Erleichterung gibt es, so Barbara John, in drei Punkten. So entfallen Anträge auf Aufenthaltserlaubnis und Arbeitserlaubnis. Außerdem werde der Zugang in die Beamtenlaufbahn geöffnet und bei den Klassenreisen müsse kein langwieriges Visumverfahren mehr durchgestanden werden. Eine volle rechtliche Gleichstellung mit deutschen Kindern sei es jedoch nicht, sonst hieße es ja nicht „Staatszugehörigkeit“, sondern „Staatsangehörigkeit“. Der sicherste Weg, den Kindern die deutsche Staatsangehörigkeit zu vermitteln, sei immer noch, so John, daß die Eltern sich selbst einbürgern lassen im Rahmen der „erleichterten Einbürgerung“ durch Paragraph 85 und 86 des Ausländergesetzes. Im letzten Jahr haben, so Barbara John, 5.755 Nichtdeutsche diesen Weg gewählt. Elke Eckert
Siehe auch Seiten 5 und 10
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