: Fiesta, Frost und Fremdeln
■ Montag war Musiktag mit Jovanotti, Paul Weller und Michael Gordon
Jovanotti
Schon lange bevor Lorenzo Jovanotti die Bühne der Großen Freiheit betrat, feierten sich hunderte sonniger Gemüter in eine Bombenstimmung. Als der italienische Rap-Star dann mit einer großen Kirchenglocke den Fight zwischen Bühne und Saal eröffnete, war schon längst klar, das nichts anderes folgen konnte, als eine zweistündige enthusiastische Fiesta. Mit einem bunten Strauß aus Sprachen und Stilen bot der modeschöpfende Pop-Überflieger eine Flower-Power-Pop-Op-Party in den schillernden Farben eines polyglotten Poeten: Pop, HipHop, Jazz und Funk, Neues und Altes und schließlich noch „ritmo“, sprich: Salsa und Samba. Da ist Zug drin. Mit seinem Song „Io No“, einer Pop-Operette „gegen Rassismus, Faschismus und Nationalismus“ drückte Jovanotti schließlich das Multi-Kulti-Gemisch, welches seine Performance bestimmt, auch in politischen Vokabeln aus. Party ohne Grenzen, nicht neu, aber gut. ms/Foto: JMS
Paul Weller
Erst als Paul Wellers Gitarren-Roadie mitspielen durfte, bekam der Abend Fahrt. Das war leider erst nach über einer Stunde. Vorher zeigte das Projekt „Paul Weller“ den Ausdruck von Verschleißerscheinungen. Mit teilweiser neuer Band, die nicht mehr als die Präsenz von Studiomuckern bot, und nach endlosen Tourneen, die den besseren Teil der Band zum Abschied nötigten, dazu mit einigen technischen Pannen und einem kühlen, völlig unrockigen Sound gestraft, kamen Wellers grandiose Kompositionen nicht aus den Löchern. Was nicht in die Tiefe ging, schlug Weller in die Länge und so tauchte schließlich das Publikum gemeinsam mit ihm als Alleinunterhalter doch noch aus dem Eismeer perfekter Beatmusik auf. Einem Großen verzeiht man auch zeitweilige Lustlosigkeit, dennoch: eines jener seligmachenden Paul-Weller-Konzerte war sein Auftritt im Docks nicht. Wiederkommen werden wir trotzdem alle. tlb
Michael Gordon Philharmonic
Eine erstaunliche Philharmonie stand am Montag auf der Kampnagel-Bühne: Nur fünf Musiker – E-Gitarre, Violine, Viola, Baß-Klarinette/Saxophon und Keyboard – gehören momentan zur Michael Gordon Philharmonic, die das zweite Konzert der Reihe Know no bounds bestritt. Die vom Programm geforderte Grenzüberschreitung läßt sich diesmal vage beschreiben als ungewöhnliche Mischung aus Rock und minimalistischer Avantgarde. Der Klang dieser seltenen Instrumentation hat durch die Kombination von einem halben Steichquartett mit einer Rockkombo ohne Schlagzeug ihren besonderen Reiz: Es klingt scheinbar bekannt und doch fremd. Das Besondere an den Kompositionen von Michael Gordon und Kompagnon Evan Ziporyn liegt aber in der vertrackten Rhythmik, der komplizierten Verzahnung von Mikromotiven und Tonwiederholungen. Was beim flüchtigen Hören als rockige Minimal Music erscheint, entpuppt sich als Gegeneinander von Rhythmen mit Sogwirkung.
Als klassischer Ahnherr läßt sich vielleicht Strawinsky benennen, manchmal werden Assoziationen wach an John Addams, Glenn Branca oder vor allem an Andrew Poppy. Charakteristisch ist häufig die dynamische, ja organische Entwicklung der Kompositionen: In Gordons Change of Live mit bedrohlichem Gitarrenhall und einzelnen harten Streichertönen werden beispielsweise nach einer Beschleunigung Unterbrechungen eingebaut. Dann folgt ein ruhiger kammermusikartiger Teil, schließlich endet das Stück nach dem häufigen Steigerungsprinzip schnell und anschwellend. Ein Vergnügen für Kopf und Bauch. Niels Greven
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