„Ich bestimme, was gemacht wird“

Im designierten Daimler-Chef Jürgen Schrempp werden die Verweser des deutschen Sports einen Partner finden, der ausschließlich spendiert, „wenn es sich rechnet“  ■ Aus Stuttgart Josef-Otto Freudenreich

Oh, wie wären sie froh gewesen, die hohen Herren des Sports, wenn ihnen der Matthias Kleinert erspart geblieben wäre! Ob's Walther Tröger ist, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, der ihn aus vollem Herzen haßt, oder Hans Hansen, der Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB), der ihm grenzenlos mißtraut, oder Manfred von Richthofen, der künftige DSB-Chef, der kummervoll fragt, ob's wirklich wahr ist, daß Kleinert weiter Sprecher des Daimler-Konzerns bleibt – Deutschlands ranghöchste Sportfunktionäre mögen den „Matt“ einfach nicht.

Wer die organisierten Leibesübungen und ihre Verweser kennt, wundert sich darüber nicht. Sie haben sich daran gewöhnt, ihren Sprengel nach Gutsherrenart zu verwalten, und wenn nun einer kommt, der sie in ihrer gewohnten Ruhe stört, dann werden sie widerborstig. Kleinert ist ein solcher Störenfried. Immer wieder hat er sie mit seinen Forderungen nach Kommunikation, Kooperation und Konzeption gepiesackt, immer wieder haben sie zurückgemault, er solle sich nicht einmischen in ihr heiliges Reich der Autonomie. Geld und Limousinen könne sein Unternehmen ja geben, aber bitte ohne Auflagen.

Entsprechend hoffnungsvoll haben die Trögers & Co. das Stühlerücken bei Deutschlands größtem Sportsponsor (Jahresetat: rund 200 Millionen Mark) verfolgt, stets in der Hoffnung, daß der Kleinert endlich an ihnen vorübergehen möge. In der Tat waren ihre Karten eine Zeitlang nicht schlecht. Jürgen Schrempp, der designierte Konzernchef, hätte liebend gerne seinen vertrauten Sprecher, Dietmar Grosse-Leege von der Münchener Dasa zum Stuttgarter Stern mitgenommen, aber der PR-Profi hat trotz heftigen Bearbeitens nein gesagt. Nach einem schweren Herzinfarkt im vergangenen Jahr hatte der 56jährige Westfale beschlossen, daß es auch noch ein Leben nach der Karriere geben muß. Wenn Schrempp im Mai kommenden Jahres endgültig in Möhringen antritt, wird er ihm noch als (höchst einflußreicher) Berater dienen, aber kein Tagesgeschäft mehr betreiben. In Grosse-Leege, der einen durchaus erfolgreichen Ehrenjob als Präsident der Deutschen Olympischen Gesellschaft (DOG) gemacht hat, hätten die Sportfunktionäre einen Ansprechpartner gehabt, der verbindlicher gewesen wäre als Kleinert.

Nun werden die Zeiten für sie noch härter. Nicht wegen Kleinert, wegen Schrempp. Während „Matt“ seinen Chef Edzard Reuter noch auf den Wunderschimmel Milton oder ins gemeinsame Boot mit IOC-Präsident Samaranch heben konnte, wird Schrempp seine eigenen Entscheidungen treffen. „Ein Schrempp geht nur einmal zum runden Tisch“, erklärt Grosse-Leege, „und dann nie wieder.“ Will sagen: Wenn Sport, Politik und Wirtschaft nur, wie bisher geschehen, zum Quasseln zusammentreffen, dann ist Schrempp die Zeit dafür zu schade. Effizienz ist die Richtschnur. Das Nur-Repräsentieren, das Weihevolle ist seine Sache nicht, auch wenn er nun, in der Reuter-Nachfolge, diplomatische Züge erkennen läßt, die zeigen, daß er sich auf jedem internationalen Parkett bewegen kann. Mit dem Sport hat er dabei wenig Probleme. Er wird wohl nur selten über die gesellschaftspolitische Aufgabe der Leibesübungen räsonnieren, sondern einfach rechnen. „Schrempp überhöht den Sport nicht“, sagt Grosse-Leege, „er sieht ihn primär unter Marketing-Gesichtspunkten.“

Das wurde im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung deutlich, in dem Schrempp nun erstmals die großen Linien seines Sportengagements skizzierte. Zunächst verabschiedet er sich ohne Not vom Titel des größten Sportsponsors der Republik. „Das ist eine quantitative Größe“, meint der 50jährige, „das sagt mir überhaupt nichts.“ Unter diesem Etikett habe der Konzern „auf zu vielen Hochzeiten getanzt“, sei ein „Wildwuchs“ im Sponsoring entstanden, den es jetzt zurückzuschneiden gelte: „Priorisierung ist oberstes Gebot.“ Die Gedanken des Hobbysportlers (Fallschirmspringen, Bergsteigen, Tennis, Kicken) gehen dabei in eindeutige Richtungen. Verstärkt zum Breitensport („die Mitarbeiter müssen sich mit der Sportförderung identifizieren können“), weg von pompösen Veranstaltungen des IOC, hin zu berechenbaren Ergebnissen wie der Formel1, weg von einer Sportpolitik, die nur Geld und Nerven kostet. „Schrempp ist pragmatischer und basisnäher als Reuter“, betont Grosse-Leege, „eher kriegt Nelson Mandela Geld für Bolzplätze in Südafrika als das IOC eine Million fürs Museum.“

In der Tat ist Schrempp anders als der noch Amtierende. Es fehlt ihm das Elitäre, Entrückte. Im trauten Kreis von Geschäftsfreunden raucht er eine Zigarette nach der anderen, stürzt er ein Bier in wenigen Zügen hinunter und redet permanent nur Klartext. Wenn er wie ein sprungbereiter Löwe auf dem Stuhl sitzt und einem sein „Ich bestimme, was gemacht wird“ entgegenschleudert, mag man daran keine Sekunde zweifeln. Wenn er mit dem Rauhbein-Image („Ich kann polarisieren“) kokettiert und vorsorglich ankündigt, daß sie ihn „in Bad Möhringen so haben müssen“, dann kann man das Zusammenzucken im gepflegten Ambiente der Daimler-Zentrale vorausahnen.

Die nötigen Ellbogen dazu hat er sich in Südafrika angeeignet. Dort haben sie ihn „zum Haupteingang rausgeschmissen“, zum Hintereingang ist er „auf Knien wieder reingerutscht“. Kundendienstleiter war er damals anno 1974, zum Vorstandsvorsitzenden von Mercedes Südafrika ist er elf Jahre später aufgestiegen. „Ich bin ein harter Hund“, sagte er, „aber ich erkläre das den Leuten.“ Offenbar scheinen die Leute auch dem Manager etwas erklären zu können. Angekommen als Stütze des Apartheidsystems („Stuttgart hat gesagt: ,Du verkaufst die Autos an Weiße!‘“) hat er sich Ende der siebziger Jahre zum Kritiker gewandelt, weil er gemerkt hat, daß die Burenherrschaft „keine Zukunft mehr hatte“ – nicht zuletzt in Absatzzahlen kalkuliert. Diese Zeit hat ihn geprägt. Es war die Zeit, in der „Schwarze keine Radmuttern festdrehen durften“, weil ihnen die „anspruchsvollen“ Aufgaben in den Werkshallen verwehrt waren. An die Basis will er jetzt wieder zurückkehren. „Bei Daimler wird man sich noch wundern“, prophezeit er, „wie oft ich bei den Arbeitern sein werde.“ Werner Niefer, verstorbener Mercedes-Chef, ist da sein Vorbild.

Wie einst Niefer, so ist auch der gelernte KFZ-Mechaniker ein leidenschaftlicher Motorsportler und Fußballfreund. Während Reuter eher dem Segeln und Reiten frönt, kickt Schrempp in Prominentenmannschaften und forciert das Formel-1-Engagement, was seinem Mentor Reuter aus umweltpolitischen Gründen stets ein Dorn im Auge war. „Ich hab' da keine Berührungsängste“, meint der Mercedes-Aufsteiger, „ich muß nur die Balance zwischen Bauch und Kopf halten.“ Alle, die ihn kennen, prophezeien, daß er das hinkriegen wird. Warum? Ganz einfach. Weil er letztlich immer den Kopf entscheiden lassen wird. Denn auch hier gilt das unprätentiöse Credo: „Entscheidend ist immer, ob sich's rechnet.“

Im Leben des Vernunftmenschen Schrempp scheint es da nur eine Ausnahme zu geben. Und die heißt Südafrika. Wer erlebt hat, wie er kürzlich mit Willi Daume in München den Schwur auf die Olympischen Spiele 2004 in Johannesburg geleistet hat, weiß in etwa, was damit gemeint ist. „Herr Daume, Sie sind die Autorität im Sport“, so lockte er den 81jährigen im Hotel Vierjahreszeiten, „gell, wir machen das.“ Daume nickte gottergeben, und schon hatte sich der Spieler an der Daimler-Spitze auf die Partie eingelassen, die der amtierende Vorstandsvorsitzende mit Berlin so grandios verloren hatte. Keine Bange, Herr Schrempp? „Nein“, donnert er und schießt Blitze durch seine randlose Designerbrille, „es gibt da einen ganz gewaltigen Unterschied: Berlin war Daimler, Südafrika bin ich.“