: Unterwegs beim fremden Nachbarn
Nach dem Friedensabkommen besuchte die erste israelische Reisegruppe in dieser Woche Jordanien ■ Aus Aqaba Khalil Abied
Wer Petra besuchen kann, der kann im Leben alles tun“, heißt es über die alte Hauptstadt der Nabatäer. Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen Israel und Jordanien am 25. Oktober kursiert dieses Sprichwort unter jüngeren Israelis, und wenn es zutrifft, kann Ellie Raeden optimistisch in die Zukunft blicken.
Die 42jährige Sozialarbeiterin ist von Kopf bis Fuß mit Staub bedeckt und sieht müde aus. Aber sie ist bester Laune. Sie hat gerade den Traum ihrer Träume verwirklicht und Petra, im Süden Jordaniens gelegen, mit eigenen Augen gesehen, die Sandsteinfelsen mit den eigenen Händen berührt. „Die Schönheit von Petra hat meine Phantasie und Vorstellungskraft übertroffen. Die Worte fehlen mir, um zu beschreiben, was in mir vorgeht“, sagt sie.
Ellie Raeden, die in Westjerusalem lebt, ist Mitglied der ersten Reisegruppe von 47 Israelis, die am vergangenen Sonntag den Boden des jordanischen Königreichs ganz offiziell mit israelischen Reisepässen betreten konnten. Bisher durften nur Bürger dritter Staaten die beiden Grenzübergänge, die seit August geöffnet sind, überqueren. Lediglich einige Israelis mit doppelter Staatsbürgerschaft haben bisher mittels ihres zweiten Passes die Gelegenheit genutzt, ins Nachbarland zu reisen.
„Petra hat eine besondere Bedeutung für uns“, sagt Raeden, „als ich noch ein Kind war, hörte ich, wie meine Eltern, Nachbarn und Verwandten über Petra redeten. Sie haben Bücher darüber gekauft. Deshalb habe ich mich entschieden, nach Petra zu kommen, nachdem mein Land mit Jordanien Frieden geschlossen hat.“
Aus Neugier und Abenteuerlust sind sie nach Petra gekommen, sagen die Reisenden, oder weil sie die Schönheit der „rosafarbenen“ Runinenstadt erleben möchten, die im 3. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung in den bunten Sandstein gehauen und im Jahre 106 von den Römern erobert wurde. Wieder andere geben religiöse Gründe an.
In der Bibel heißt es, Moses sei nach dem Auszug aus Ägypten schließlich an den Ort Sela gelangt. Man nimmt heute an, daß Petra mit dem alttestamentarischen Sela identisch ist; die Namen beider Städte bedeuten auf deutsch „Fels“. Petra befindet sich am Ende des Wadi Mussa, des Moses- Tals. Wenn man das Wadi Mussa betritt, gelangt man zunächst zur Moses-Quelle, wo Moses mit einem Stock eine Quelle in den Felsen geschlagen haben soll. Nicht weit davon entfernt liegt der Jabal Haroun oder Aaron-Berg, auf dem Moses der Bibel zufolge mit Gott gesprochen hat und wo sein Bruder Aaron beerdigt wurde.
Viele Israelis trauen sich noch nicht so recht
Es gibt auch Geschichten über frühe jüdische Siedler im damaligen Palästina, die Anfang des Jahrhunderts ums Leben kamen, weil sie die Region besuchen wollten. Das Wadi Mussa lag zu jener Zeit fernab von Städten und Straßen; dort lebten Beduinenstämme, die Fremden sehr mißtrauisch gegenüberstanden. Wer von dieser gefahrvollen Reise heil zurückkam, wurde als Held gefeiert. „Ich glaube, daß es auch psychologische Motive gibt, wenn Israelis jetzt nach Petra fahren“, sagt Ellie Raeden, „Petra liegt ja nur einige Dutzend Kilometer weit weg. Aber wegen des Kriegszustands war die Stadt unerreichbar. Wahrscheinlich weil ,verbotene Früchte besser schmecken‘ wollen jetzt viele Leute das Mysterium entdecken.“
Dennoch war die Zahl der Israelis, die die neue politische Situation zu einem Ausflug ins Nachbarland nutzten, viel geringer als erwartet. Seit nach der Ratifizierung des Friedensabkommens durch das jordanische Parlament vor einer Woche nun jeden Tag 500 Israelis die Grenze überqueren dürfen, haben nur einige hundert von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Viele trauen sich noch nicht so recht.
Auch Ellie Raeden hat lange Debatten mit ihrem Mann und ihren Freunden hinter sich, ehe sie sich zu der Reise entschloß. „Ihr Gegenargument war, daß es in Jordanien viele Palästinenser und Islamisten gibt und daß sie vielleicht Aktionen gegen die ersten Gruppen von Israelis machen, um den Friedensprozeß zu behindern. Aber ich habe gedacht, daß wir bestimmt von jordanischen Polizisten geschützt werden, gerade weil wir die erste Gruppe sind“, erzählt Raeden. Sie hatte recht: Auf der Fahrt nach Petra wurde der Reisebus von drei Polizeifahrzeugen begleitet, und an jeder Kreuzung entlang der Route waren einige Soldaten oder Polizisten postiert. Ellie Readen hatte während der viertägigen Reise, die sie in die jordanische Hauptstadt Amman, Petra und Aqaba am Roten Meer führte, keine Angst. Aber gegenüber Jordaniern blieb sie zurückhaltend.
Es ist acht Uhr abends. Einige der israelischen Touristen sammeln sich in der Lobby des Aqaba Gulf Hotels, wo die Gruppe ihre letzte Nacht in Jordanien verbringt. Alle sind gut drauf. Einige wollen noch ausgehen und in einem der Fischrestaurants zu Abend essen. Andere wollen einen ruhigen Abend im Hotel verbringen. Im Café sitzt die dreißigjährige Mimi Schreiber. Sie wurde von ihren Eltern und ihrer verheirateten Schwester auf eine „Kamikaze- Aufklärungsmission“ geschickt, wie sie lachend erzählt. Die Familie hätte ihr die Reise geschenkt. „Sie wollten wahnsinnig gerne nach Petra fahren, aber sie haben noch Angst“, sagt die junge Frau. Sie nippt an ihrem Täßchen mit starkem arabischem Kaffee. „Ich habe mich in diesen Kaffee verliebt“, scherzt sie und erzählt, daß sie jeden Tag ihre Familie anrufen mußte.
„Wie sind denn die Jordanier?“
„Sie haben noch nicht einmal gefragt, wie es mir geht. Sobald sie meine Stimme hörten, stellten sie eine Frage nach der anderen: Wie sind die Jordanier? Sind sie nett? Wie sieht es in Amman aus? Ist es dort sicher? Wann fährst du nach Petra?“ berichtet Mimi lachend. „Als ich heute von Petra erzählt habe, hörte ich auf der anderen seite der Leitung nur ein Stöhnen – aah und ooh.“
Angst hatte auch Mimi in Jordanien nicht. Aber wie ihre Reisekameraden auch war sie vorsichtig. Zwar traute sich sich, zusammen mit einer anderen Frau aus der Gruppe allein einen Straßenbummel zu unternehmen. „Aber wenn man mich fragte, woher ich komme, antwortete ich immer, daß ich Amerikanerin sei. Ich glaube, es wird noch Zeit brauchen, bis wir den Leuten sagen können, daß wir Israelis sind.“
Der Tip, die eigene Identität zu verschweigen, war einer der Ratschläge, die den Mitgliedern der Gruppe vor dem Antritt der Reise von den Veranstaltern nahegelegt wurden. Empfohlen wurde auch, möglichst den Kontakt zu Personen zu vermeiden, die man nicht kennt. Bei Gesprächen mit Jordaniern solle man leise sprechen, höflich und zuvorkommend sein. Männern, die eine Kippa tragen, wurde dringend nahegelegt, diese mit einem Hut zu verdecken. Hebräische Schriftzeichen, etwa auf einem T-Shirt, sollten nicht in der Öffentlichkeit getragen werden. Schließlich und endlich wurden sie ermahnt, aus den Hotelzimmern nichts mitgehen zu lassen...
...wie sie über den Frieden mit Israel denken
In einer Ecke der Lobby des Hotels sinkt Zafer erschöpft in einen Sessel. Der junge jordanische Reiseführer, der diesen Job seit fünf Jahren macht, hat einen anstrengenden Tag hinter sich. Er hat die Gruppe auf dem fünfstündigen Ausflug nach Petra begleitet. Fünf Stunden, in denen er ständig reden mußte und Fragen über Fragen gestellt wurden. Geduldig lächeln, freundlich anworten. Aber diesmal war es doch etwas anders, obwohl sich Zafer von vornherein entschlossen hatte, die Gruppe wie alle anderen auch zu behandeln. Schließlich war es die erste israelische Reisegruppe, die er begleitete.
„Sie fragten nach den Palästinensern in Jordanien, nach den Islamisten und wollten wissen, ob es hier auch die Hamas-Bewegung gibt. Aber ihre wichtigste Frage war, wie die Jordanier über den Frieden mit Israel denken“, berichtet er. Normalerweise gebe er ausweichende, diplomatische Antworten auf solche Fragen, sagt Zafer. Aber das sei ihm diesmal schwergefallen.
„Ich sagte ihnen ganz offen, daß die meisten Jordanier aus wirtschaftlichen Gründen für den Frieden mit Israel sind. Sie glauben, daß der Frieden ihre wirtschaftliche Situation verbessert. Von Liebe ist nicht die Rede. Wir können unsere Gefühle nicht über Nacht ändern. Die psychologische Mauer zwischen uns ist noch sehr stark“, erklärt der Reiseführer. „Ich sagte ihnen auch, daß viele Palästinenser Verwandte in der Westbank und im Gaza-Streifen haben. Solange die Israelis den Palästinensern die Unabhängigkeit verweigern und keinen umfassenden und gerechten Frieden mit den arabischen Staaten schließen, ist es unmöglich, die Beziehungen zwischen uns zu normalisieren.“
Die israelischen Touristen haben auf ihrer Reise kaum Kontakt zu Jordaniern gehabt: Da waren die freundlichen Grenzpolizisten, die mit breitem Lächeln ihre Pässe stempelten, der Reiseführer, der Busfahrer, die Angestellten der Hotels, die Vermieter von Pferden in Aqaba. Diese Jordanier begegneten den Israelis mit gemischten Gefühlen. Hassan, der seit acht Jahren als Busfahrer arbeitet und Touristen aus zahlreichen Ländern der Welt begegnet ist, beschreibt die Situation mit dem Wort „ungemütlich“: „Mit den anderen Touristen ist es viel einfacher. Wir kommen schnell miteinander in Kontakt. Die meisten Israelis sind zurückhaltend. Manchmal hatte ich den Eindruck, daß sie nur kommen, um Petra zu sehen. Sie haben kein Interesse daran, gute Beziehungen zu uns zu haben“, sagt er ärgerlich.
Der Beduine Abdul Rahman, der in Petra Pferde an Touristen vermietet, steht nach dem Besuch der Israelis vor einem Rätsel: Warum haben sie auf seinen Gruß „Schalom“ mit einem „ausländischen Hallo“ geantwortet?
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