: Thema: Stysi
■ betr.: "Offener Brief an Gregor Gysi" von Freya Klier, taz vom 15.11. 94 / betr.: dito und "Nichtbeantwortete Fragen", taz vom 11.11.94
[...] Obwohl bei Frau Klier unter die Gruppierung „schwuler West- Depp“ fallend, hoffe ich doch sehr, daß es ihr geholfen hat, sich ihren Frust mal so richtig von der Seele zu schreiben. Ist ja auch nicht einfach, damals wurde man nicht gehört, und heute ist man schon fast wieder vergessen. Aber vielleicht klappt's ja über die Kampagne gegen Gysi nochmal mit dem Rampenlicht? Schwule haben für alles Verständnis. Stefan Clooth, Aachen
Mein Wohnort heißt erst seit vier Monaten Leipzig. Zuvor war ich im Rems-Murr-Kreis, Raum Stuttgart. Acht Jahre! Gehöre daher zu denen, „deren Blödheit“, PDS zu wählen, Frau Klier „verschmerzen“ muß. Aber ihre Polemik, mit der sie jeden schuldig spricht, der in der DDR nicht am untersten Rand oder Außenseiter war, ignoriert die Nazivergangenheit des oberen Drittels der Deutschen im Westen. Und sie ignoriert die heutige Situation. Daß nämlich ein Mensch, der sein Geld mit Arbeit verdienen muß, im Raum Stuttgart, Frankfurt, München keine Wohnung neu mieten kann, weil das unbezahlbar ist. Daß die SPD von der CDU nicht zu unterscheiden ist. Und daß die Grünen mit ihrem bedingungslosen Akzeptieren dieser Realität, also mit ihrem „Realo“-Geschwätz, erst in die Mitte und dann nach rechts gerückt sind. Hans-Peter Ernst, Leipzig
Draufhauen ist angesagt: Frau Klier behauptet in ihrem Rundumschlag, die Stasi habe rund drei Millionen DDR-BürgerInnen aus dem Land getrieben. Dummes Zeug! Meine Eltern und andere flohen aus der DDR, um zum Beispiel ihre Ehe zu kitten und weil der Rias damals grenzüberschreitend vom Land, in dem Milch und Honig fließen, schwärmte.
Im Notaufnahmelager in Berlin merkten sie, daß nur die politisch Verfolgten bevorzugt mit BRD- Bürgerrechten versehen wurden. Andere mußten zum Teil jahrelang ihr Leben im Lager fristen: Zwar nicht zurückgeschoben, aber ohne StaatsbürgerInnenrechte.
Außerdem war ihnen bis dahin unbekannt gewesen, daß sie von allen möglichen Geheimdiensten nach SED-GenossInnen in ihrer alten Nachbarschaft, unter KollegInnen etc. befragt würden. Als Belohnung für die Kooperation winkten die BRD-Staatsbürgerschaft, ein Flüchtlingsstatus, staatliche Mittel. Ein Anreiz für meinen Vater, sich als politisch verfolgt darzustellen – nur um eingelassen zu werden ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, und zwar sofort.
Natürlich wird auch Gysi als Anwalt in politisch relevanten Verfahren mit der Staatssicherheit kooperiert haben: Sicher! Arbeit am langen Arm der Stasi? Vielleicht! Und wem hat das genutzt – im Einzelfall?
Mich stört diese Wehleidigkeit. [...] Ebensowenig sollte vergessen werden, daß das politische Geschäft dort wie hier läuft. Die Abgeschobenen aus der DDR wurden von westlichen Geheimdiensten angesprochen, garantiert, haben mit denen kooperiert, mußten kooperieren? Eine Frage der Nützlichkeit! Also auch bei ihnen die Schlapphutfinger im Arsch?
Von ihrer Kooperation mit westlichen Geheimdiensten haben die nichts gemerkt. Da war nie was, klar – behaupten die jetzt! Doch wem nutzt die Anti-Gysi-Kampagne? Das ahnen wir nur – bis die nächste Wende kommt und auch hier die Akten aller Belogenen und Beleidigten auf dem Tisch liegen. Jürgen Lichtenberger, Bielefeld
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