■ In Köln findet die erste deutsche Erotikmesse statt: Der Tick mit dem Fick
Köln (taz) – Erotik, so steht es im Brockhaus, ist „die geistig-seelische Entfaltung der Geschlechtlichkeit und das Spiel mit deren Reizen“. Erotik, so lehrt die Realität, eignet sich aber auch hervorragend dazu, durch Versprechen von Lust und Leidenschaft den Leuten jede Menge Geld aus der Tasche zu ziehen. Mit plattem Kaufsex von Reeperbahn-Niveau jedoch und Plastik-Pornographie aus dem Hause Beate Uhse läßt sich heute kein Aufsehen mehr erregen, denn die Trends der 90er sind S/M, Leder und Latex, Piercing und Cybersex – zumindest wollen uns spätabendliche Talk-Shows und grellbunte Magazine das weismachen.
Die Tatsache, daß auch sie und die Aussteller nur auf eines scharf sind – nämlich auf das Portemonnaie der BesucherInnen – versuchen die Veranstalter der Kölner „Erotica“ (bis 27. 11. im ACC, Rheinauhafen) so gut wie möglich zu verschleiern. Bundesweit warb da ein nackter Männertorso für Attraktionen wie Tanz, Malerei, Comics, Body-art, Bildhauerei, Film und Musik und versuchte dadurch das Image einer schmuddeligen Pornoshow zu vermeiden. Junge Leute wie auch Senioren sollten angesprochen werden, und es soll „eine Entwicklung in Gang gesetzt werden, die die Menschen zu mehr Offenheit und sexueller Demokratie führt“. Zumindest diesem Anspruch scheinen die am Eröffnungstag herbeiströmenden Scharen gerecht zu werden, denn sie unterscheiden sich nicht vom Publikum einer x-beliebigen Verbraucherausstellung. Die Antwort, was genau nun unter „mehr Offenheit“ und „sexueller Demokratie“ zu verstehen ist – noch knappere Bikinis?, Abstimmungen beim Gruppensex? –, bleibt die „Erotica“ allerdings schuldig. Und die Sensationen, die großspurig angekündigt werden, erweisen sich als wenig aufregend. Die eine der vier Etagen einnehmenden Ausstellung mit Werken italienischer Comiczeichnerinnen besticht durch Mittelmäßigkeit, von den fehlenden Textübersetzungen ganz zu schweigen. Grauenhaft die in grellen Farben gehaltenen Airbrush- und Ölgemälde draller Blondinen, wohingegen die von verschiedenen Künstlern ausgestellten Fotografien zwar durchaus sehenswert sind, aber nicht so recht in den hektischen Messetrubel passen. Dicht umlagert der Stand eines Scherzartikelherstellers: Für den in Schwarz-Rot-Gold gehaltenen Männerbikini mit an der Schwanzspitze angenähter Bimmel fanden sich genauso Interessenten wie für die diversen Scherzüberzieher, darunter auch Ralf Königs „Kondom des Grauens“. Mit respektvollem Abstand betrachtet wurden die Exponate der Hersteller von Sex-Möbeln: Betten, die mit Vorrichtungen zur Befestigung von Fesseln ausgestattet sind, Stühle, deren Sitzkomfort durch einen penisgroßen Stahlkolben auf der Sitzfläche gesteigert werden soll, und Raumteiler, die sich zum Sklavenkäfig umwandeln lassen. Mindestens genauso beeindruckend auch das Arsenal von Penetrationsobjekten aus poliertem Chirurgenstahl. Der oberlippenbarttragende Herr, der Kataloge des Orion-Versandes unters Volk bringen will, hat da natürlich einen schweren Stand, während die Videofirma, die hinter einem Vorhang ein „Body-and-Voice-Casting“ durchführt, sich nicht über mangelnden Zulauf beschweren kann.
Nach höchstens anderthalb Stunden hat man dann so ziemlich alles gesehen, was sich irgendwie mit dem Sexualtrieb in Verbindung bringen läßt, und außerdem etwas zu spät die Erkenntnis gewonnen, daß Amsterdams Rotlichtviertel das gleiche zum Nulltarif bietet und die 35 Mark Eintritt pro Nase für ein opulentes Candle- light-Dinner in den eigenen vier Wänden besser angelegt sind. Joachim Hiller
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