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„Die Zahl unserer Kriegsopfer ist unbekannt“

■ Hilferuf aus dem Regionalkrankenhaus der umkämpften Enklave Bihać

Sarajevo/Berlin (dpa/taz) – Seitdem im vergangenen Monat die bosnische Regierungsarmee ihre Offensive zur Öffnung der muslimischen Enklave Bihać begann, sind die Nachrichten über die Situation in dem nordwestlichen Grenzgebiet Bosniens rar geworden. Westliche Journalisten sind – aus verständlichen Gründen – höchstens für kurze Zeit in der umkämpften Region, die UNO hält sich mit konkreten Informationen zurück. Berichte der bosnischen Nachrichtenagentur, wonach serbische Panzer inzwischen nur noch fünf Kilometer vom Stadtzentrum Bihaćs entfernt sind, wollten oder konnten sie gestern zunächst nicht bestätigen. Erst später hieß es dann aus UN-Kreisen, daß die serbischen Truppen das Wasserwerk der Stadt Bihać, in der derzeit rund 70.000 Menschen leben, eingenommen hätten.

Detaillierte Informationen vermittelte gestern somit allein ein Hilferuf, den der Direktor des Bezirkskrankenhauses Bihać, Bekir Tatlić, an die „internationale Öffentlichkeit“ schickte. In seinem Fax, das vom Büro des ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Stefan Schwarz und der Gesellschaft für bedrohte Völker verbreitet wurde, heißt es: „Alle humanitären Organisationen, die verpflichtet wären, in diesem Gebiet tätig zu sein, haben die Region verlassen, obwohl wir wissen, daß es eigentlich Pflicht dieser Organisationen wäre, uns in der gegenwärtigen schwierigen Situation zu helfen.“ Seit April diesen Jahres, so Tatlić weiter, habe keine einzige humanitäre Organisation Verbandsmaterial, Medikamente und Lebensmittel in sein Krankenhaus gebracht. Und so verbrauche man in diesen Tagen die letzten Konserven.

Die Informationen von Direktor Tatlić wurden vom bosnischen Rundfunk und Amateurfunkern ergänzt. Demnach hat die Region in der Nacht auf Montag die „bisher schwersten Stunden seit Kriegsausbruch“ erlebt. „Rund 10.000 Geschosse“ serbischer Artillerie seien niedergegangen, „über vielen Dörfern und Siedlungen stehen Rauch und Flammen“. Nach Berichten der Belagerten seien die serbischen Truppen um 6.000 Soldaten aus der serbisch kontrollierten Krajina in Kroatien ergänzt worden. Aufgrund der schwierigen Lage sei eine Übersicht über die Zahl der Opfer der „ständigen Kämpfe“ nicht mehr möglich.

Nach den Angaben von Direktor Tatlić befinden sich in seinem Krankenhaus derzeit mehr als 900 Verwundete und Kranke, diese würden nur einmal in 24 Stunden etwas zu Essen erhalten. Das Krankenhaus sei voll von Früh- und Totgeborenen. „Die Kinder kommen unterhalb ihres notwendigen Normalgewichts auf die Welt. Da wir seit langem nicht mehr über Babynahrung verfügen, können wir sie nicht ernähren. Sie sterben vor den Augen der Eltern und Ärzte.“

Aufgrund dieser schwierigen Situation, „in der es an allem fehlt, können wir den Patienten nichts mehr geben“. Dies habe zur Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie TBC und Hepatitis geführt. „Die Verletzten, Kranken und die Mitarbeiter dieses Krankenhauses“, so Tatlić am Ende seines Hilferufs, „appellieren an die Welt, vor allem an humanitäre Organisationen, Ärzte und Sanitäter, an alle Menschen guten Willens in dieser Welt, ihre Stimme zu erheben, damit diesem Krankenhaus sofort geholfen wird“. her

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