piwik no script img

Flotter Kuschelvierer

■ Barbies im Reigen, patinierte Quadriga-Tüten und sprachlose Computer-Boys: Die taz stellt ab heute 50 Wettbewerbsplakate zum "Welt-Aids-Tag 1994 Berlin" aus

In der Werbung muß man mit Überraschungen rechnen. Schließlich blickt der Mensch meist nur kurz auf in seinem täglichen Treiben, und da müssen sich die Bilder sogleich festfressen. Meistens geht es nicht um das, was man sieht, sondern daß man sieht. Etwa die seltsamen jungen Boxer, die mit ihren Trainern für Berlin posieren. Oder das leicht blöde Grinsen eines Kahlkopfes auf blauem Grund, der die Jugend in die Sparkassen locken soll. Mit dieser fröhlichen Vertraulichkeit fachmännischer Verführungskunst haben die beiden postergroßen Plakate von Jan Kesting nur wenig gemein. Dort blickt ein digital eingefärbt und überzeichneter Boy traurig in die Welt, auf einer zweiten Variante fehlt ihm gar der Mund. Sätze kreisen um seine Stirn: „aids ist noch da“, egal ob man es nicht sieht oder aufhört, darüber zu sprechen.

Fremd, vage, aber trotzdem direkt: Es war dieser Entwurf zum „Welt-Aids-Tag 1994, Berlin“, dem eine sechsköpfige Jury aus Fachleuten für Werbung, Kunst und Kommunikation den ersten Preis zugesprochen hat. Von der taz und dem Kondom-Hersteller „London“ initiiert, soll Kestings eigenes Konterfei ab nächster Woche auf Berlins U-Bahn-Steigen den Weg der Pendler pflastern.

Nach stundenlanger Suche waren sich tatsächlich alle Beteiligten – von Anne Momper bis zum schwulen Filmemacher Wieland Speck – darüber einig geworden, daß dieses Plakat am meisten Aufmerksamkeit für das zu Unrecht abgeebbte Interesse an Aids wecken kann, vor allem beim nicht HIV-infizierten Teil der Bevölkerung. Kestings Plakate verbinden MTV-Ästhetik und Computerimages, ohne damit auf Trends oder Tränen abzuzielen: „Sie sind nicht als Anklage gedacht, sondern als Erinnerung“, beschreibt der HdK-Student, Jahrgang 1969, seine Hintergedanken.

Auch die Zweit- und Drittplazierten haben nicht mit irgendeiner Heulsusigkeit kokettiert: Beate Fahrnländers flotter Barbie-Puppen-Kuschelvierer arbeitet eher schroff mit den Kindheits-Symbolen diverser Nachkriegs-Generationen und deren Glauben „an Schönheit und Reichtum, perfekte Körper und Spaß um jeden Preis“. Matthias Zschaler jun. dagegen kehrt gerade den Witz im Umgang mit Berlin als Hauptstadt der Lüste hervor: Statt der Quadriga thronen jetzt vier Kondome auf dem Brandenburger Tor. Und das Sprachspiel mit dem „1. Daidsember“ hakelt erst auf den zweiten Blick.

So weit die Gewinner, doch auch vom besten Rest der Unmengen eingesandter Plakate wollte sich die Expertenrunde nicht trennen. Sie hängen im Erdgeschoß des taz-Gebäudes aus: Schneckenhäuser als Verhütungsmittel, Tüten im Weltall und allerlei rätselhaftes Kondom-Placement. Wie in der Aids-Aufklärung gilt auch hier: Weitermachen. Harald Fricke

Die Plakatentwürfe sind bis zum 21. 12. im Restaurant „Blumhagen“, Kochstraße 18, zu sehen.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen