Der leidende Held und die hohe Schule

Vor Ehrfurcht erstarrte bayrische Balltreter verlieren hochverdient mit 0:1 gegen Paris St. Germain und beklagen Kommunikationsdefizite mit dem dirigierenden Übungsleiter  ■ Aus München Markus Götting

Lothar Matthäus stellte sich diesmal erst nach abkühlender Dusche vor die Fernsehkameras. Sachlich, souverän, eifrig um treffende Wortwahl bemüht. Und es sprach der Kapitän des FC Bayern davon, im letzten Heimspiel der Champions League gegen eine bessere Mannschaft – namentlich: Gruppe-B-Tabellenführer Paris St. Germain – 0:1 (0:0) verloren zu haben. Keine Bestechungsvorwürfe gegen den Pfeifenmann? Keine Zerstörung des Olympiastadion-Inventars? Beim deutschen Rekord-Fußballmeister rangen sie schlicht um Fassung.

Zum „Spiel des Jahres“ hatten die Bayern den Euro-Kick gegen den französischen Titelträger erhoben, verpaßten indes einen „großen Schritt Richtung Viertelfinale“ (Lothar Matthäus), dem verordneten Ziel ihres erfolgsgewöhnten Übungsleiters Giovanni Trapattoni. Mutlos schlichen die Münchner Millionarios über die Fußballwiese, erstarrt vor Gegners Angesicht, in Furcht vor dessen Ruhmestaten. Gelächelt hatte George Weah, der hochbezahlte und vielgepriesene Dribbelvirtuose, der sich in der ersten Stunde ausruhen und auf seine Rolle als teilnehmender Beobachter beschränken durfte. Als er in der 64. Minute auflief, hatte der Liberianer durch intensive Studien von der Auswechselbank aus eine verwegene Erkenntnis gebildet, wie er hernach fröhlich rapportierte: „Ich wußte, daß ich ein Tor schießen würde – und auch wie.“ Die Defensiv-Angestellten des FC Bayern umkurvte er gleich im Dreierpack, zuletzt Markus Babbel, bevor er, oh Furcht, die Kugel zum 0:1 (80.) vehement ins kurze Eck trat.

Dabei hatten die bajuwarischen Balltreter nach grottengrausiger erster Halbzeit im zweiten Durchgang zumindest erfreuliche Ansätze gezeigt, zumal sie bis auf Christian Ziege erstmals wieder in Bestbesetzung antraten. Doch Signore Trapattoni trat auf die Elanbremse, in dem Wissen, daß nach Kiews 0:1-Niederlage gegen Moskau schon „ein 0:0 sehr wichtig ist“. Das aber ist offenbar das derzeit größte Problem der Fußathleten von der Säbener Straße: Sie dürfen nicht, wie sie wollen. Für Betrachter mag es witzig wirken, wenn der vitale Mittsechziger Trapattoni in den Übungsstunden mit den Armen herumrudert wie der Dirigent der Münchner Philharmoniker, wenn er auf seine Eleven zustürmt und mit dem mimischen Ausdruck eines leidenden Theaterhelden die Kickern die hohe Fußballschule lehrt.

Doch was nützt dem engagierten Italiener all der selbst vergossene Schweiß, wenn die Schüler ihn nicht verstehen – sprachlich wie inhaltlich. Das neue System kann niemand definieren. „Vielleicht haben wir das Spielermaterial nicht, um das umzusetzen, was der Trainer will“, rätselt Mittelfeldmann Markus Schupp, der in der vorweihnachtlichen Zeit mehr Einfühlsamkeit seines Fußballehrers auf dem Wunschzettel stehen hat: „Es ist vielleicht ein Mentalitätsproblem. Wir sind deutsch, wir laufen und kämpfen.“ Das aber ist seit Saisonbeginn kaum mehr möglich, doziert Trapattoni doch in eineinhalb Stunden Training hauptsächlich von taktischen Feinheiten, schleift und feilt, obschon die Spieler, wie Markus Schupp stellvertretend beklagt, nur eines wollen: „Einfach mal Gas geben.“

Ein jeder rätselt vor sich hin, entfremdet sich von seinem Mikrokosmos Fußballplatz. Verunsicherung, Verängstigung hat der Schweizer Alain Sutter nach der Niederlage gegen Paris ausgemacht, „es traut sich niemand mehr, einen riskanten Paß zu spielen“, aus Furcht, gegen das Sicherheitsgebot des Safety-first-Apologeten Trapattoni zu verstoßen. „Wir denken zuviel über das nach, was wir tun – das nimmt uns die Natürlichkeit, die Kreativität“, weiß Schupp und erzählt, daß das kollektive Unbehagen in der Mannschaft immer wieder diskutiert werde. Doch weiche der Vorgesetzte trotz mehrfacher Spieler- Interventionen von seiner Linie nicht ab. Unter Franz Beckenbauer, blickt Markus Schupp zurück, „war's befreiter“, doch der ist jetzt Präsident – mit größtem Respekt vor dem erfolgreichsten Vereinstrainer der Welt, den der FC Bayern engagiert hat, um in die internationale Elite vorzudringen.

Dabei scheitern die Fußballer aus dem Freistaat allerdings an ihrer Unreife – „fehlende Abgeklärtheit“, wie es Lothar Matthäus nennt. Und jenseits der Alpen ruft man – offenbar in Kenntnis der Kommunikationsstörungen beim FC Ruhmreich – bereits nach Trapattoni für den Posten des Nationaltrainers. Dementiert hat der Gewünschte freilich nicht, wenngleich er immer wieder betont, bis zur Winterpause zu warten: „Dann setzen wir uns zusammen und überlegen gemeinsam, wie es weitergeht.“ Entscheidendes Kriterium wird das Abschneiden in der Champions League sein, wo nun in Kiew ein Sieg beziehungsweise ein Remis erspielt werden muß, wenn die punktgleichen Moskowiter (4:6) aus Paris mit einem Unentschieden beziehungsweise einer Niederlage heimkehren. „Aus eigener Kraft können wir es nicht mehr schaffen“, hat Lothar Matthäus fix kalkuliert. Wenigstens rechnen können sie noch.

Paris St. Germain: Lama - Roche - Cobos, Dieng - Llacer, Bravo (58. Le Guen), Colleter, Guerin, Sechet - Nouma, Ginola (64. Weah)

Schiedsrichter: Diaz Vega (Spanien)

Zuschauer: 46.000

Tor: 0:1 Weah (81.)

FC Bayern München: Kahn - Matthäus - Babbel, Helmer - Jorginho, Schupp (63. Hamann), Nerlinger, Scholl, Frey - Papin (70. Zickler), Sutter