: „Du sollst an dir selber ersticken“
Die Wirkungen der Isolation sind am deutlichsten zu spüren, wenn etwas geschieht, das sie durchbricht ■ Von Birgit Hogefeld
Am letzten Verhandlungstag hat meine Rechtsanwältin den Ausführungen der Bundesanwaltschaft zu meinen Haftbedingungen Fakten entgegengehalten, die die reale Situation widerspiegeln sollten. Es waren Fakten über die Transportdauer von Briefen, über Besuchsbedingungen mit Trennscheibe, über die Anzahl der Monate, in denen ich 24 Stunden täglich allein gewesen bin usw. – diese Fakten stimmen zwar, aber ich habe den Eindruck oder besser das Gefühl, daß so die Realität, die Isolationshaft ist, nicht wiedergegeben werden kann.
Als der Vertreter der Bundesanwaltschaft einen Brief von mir an meine Mutter vorgelesen hat, in dem ich über den auf reichem Standard organisierten Knast in Ländern wie Deutschland geschrieben habe, habe ich mir einige Gesichter in der ersten Reihe, also von Journalistinnen und Journalisten, angeschaut. Ich hatte zum Teil den Eindruck, daß das, was die Bundesanwaltschaft mit der Verlesung all meiner Besitztümer in der Gefängniszelle bezwecken wollte, nämlich daß Leute den Vergleich anstellen, mit dem, was sie selber haben, aufgegangen ist. Und es stimmt ja auch, vom Fernseher bis zur Querflöte ist alles da, auch 20 Bücher habe ich in der Zelle und auch zwei Tageszeitungen und mehrere Zeitschriften. Und wenn Sie, Herr Hemberger (einer der Bundesanwälte, die Red.), dazu anmerken, daß kaum ein Mensch dazu kommt, soviel zu lesen – das sind dann wohl schon die besonderen Vorzüge und Privilegien von Menschen in Einzelhaft, die frei über unbegrenzt viel Zeit verfügen, na ja, das ist Zynismus von der eher platten Sorte. Aber was sagt all das, was sagt die Aufzählung all dieser Gegenstände über Isolationshaft aus? – Nichts, oder zumindest nicht sehr viel.
Wenn ich versuchen will, anderen Menschen Isolation, ihre Wirkung, zu erklären, kommt mir das sofort unmöglich vor. Oft beschreibe ich dann einzelne Ereignisse, die eine Steigerung oder Totalisierung darstellen, aber nie die Isolationswirkung selbst. Oder ich beschreibe den Rahmen – 24 beziehungsweise 23 Stunden über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr in einer Acht-Quadratmeter- Zelle mit Blick auf eine Betonmauer allein zu sein, aber was sagt das, gut, viele Tausende Stunden allein sein –, aber das erklärt auch nichts, oder es weckt Assoziationen in eine falsche Richtung. Beispielsweise, daß einem dann die Decke auf den Kopf fällt, daß man es in dieser Zelle nicht länger auszuhalten glaubt. Das gibt es sicherlich auch, aber bei mir war das nie der Fall, ich habe mich auch nie gelangweilt, sicher auch wegen der ganzen Sachen, die ich habe, ich hatte Möglichkeiten und kann mich ganz gut alleine sinnvoll beschäftigen, das war nie mein Problem.
Nein, Isolation ist was anderes, Isolation ist und wirkt darüber, daß du nie mit anderen Menschen zusammensein kannst, daß du immer nur mit dir selber zusammen bist – zum Beispiel realisieren doch Menschen ihre Stimmungen und Gefühle fast immer in und durch andere Menschen, du brauchst den Mitmensch, um dich selbst als Mensch zu realisieren. In Isolation läuft jede Stimmung ins Leere, ob du gutgelaunt bist oder wütend oder unheimlich traurig, du kannst immer mit all dem nirgends hin, daß heißt, du kannst das nicht leben. Und das bedeutet, all das bleibt immer in dir drin – du bist und sollst das auch, in dir eingeschlossen sein und werden. Der Kampf, den Menschen in Isolationshaft um ihr Leben und Überleben führen, ist v.a. ein Kampf darum, das immer wieder zu durchbrechen, also dieses Eingeschlossensein in einem selber.
Für mich war es so, daß ich mir in dieser Zeit immer mehr die Sprache als Ausdrucksmöglichkeit angeeignet habe, vor allem die Trauer um den Tod meines Freundes habe ich in erster Linie in Gedichten ausdrücken können. Solche Gedichte zu schreiben ist sicherlich nur ein sehr reduzierter Ersatz für Gespräche und das Zusammensein und die Nähe mit vertrauten Menschen, gerade in einer solchen Situation, aber für mich war es wie ein Rettungsanker. Ich habe monatelang Gedichte geschrieben über den Verlust, meine Trauer, meine Gefühle, aber auch über abgeschnittene Hände und über Obduktionsbilder, die mir die Bundesanwaltschaft hat zuschicken lassen, auf denen der Körper von Wolfgang Grams aufgehängt abgebildet und seine Kopfhaut abgezogen ist. Hätte ich in dieser Zeit die Sprache als Ausdrucksmöglichkeit für meine innersten Gefühle nicht gefunden beziehungsweise entdeckt, ich glaube, daß die ganze Zeit sehr viel schwerer und mit sehr viel tiefergehenden Wirkungen gewesen wäre.
Und da kommen Sie (die Bundesanwaltschaft, die Red.) hier mit Fernsehgerät und ähnlichem an: Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, an dem ich das TV- Gerät gekriegt habe, es war der Tag von Wolfgangs Beerdigung und die allererste Sendung, die ich gesehen habe, war eine Nachrichtensendung, in der Bilder von der Beerdigung gezeigt wurden – an der im übrigen Sie mich nicht haben teilnehmen lassen. Der Sarg, seine Eltern, meine Familie, alte Freunde – und über diese und über tausend andere aufwühlenden Situationen konnte ich nie mit einem anderen Menschen reden, all das mußte ich immer mit mir allein ausmachen – das ist Isolation, und genau das soll sie sein.
Ich hatte mal dazu geschrieben: du sollst dich so weit in dich selber zurückziehen, daß du den Zugang zu dir verlierst – du sollst an dir selber, an deinen eigenen Gefühlen, die nie nach außen dringen sollen, ersticken.
Das ist die Methode Isolationshaft, und es geht auch noch weiter, als das Abschneiden von den direkten menschlichen Kontakten – diese lange Postdauer ist einerseits natürlich Be- beziehungsweise Verhinderung von politischer Diskussion, aber sie ist auch dafür da, alles lebendige, was ja auch in einem brieflichen Kontakt stattfinden kann, abzutöten. Woran das Programm, also daß es darum geht, die Gefühle in einem Menschen einzusperren, auch deutlich wird, ist die Sache mit dem Musikinstrument. Es handelt sich dabei um eine Querflöte, und als ich die gekriegt habe, war ich Anfängerin und konnte darauf keinen einzigen Ton spielen. Seit unmittelbar nach meiner Verhaftung laufen Anträge für ein Keyboard – das sind diese elektronischen Orgeln –, und daß ich Orgel spielen kann, ist der Bundesanwaltschaft bekannt. Sie haben mir während der ganzen Zeit in Isolation diesen Antrag wegen des Keyboards nicht genehmigt, weil ihnen klar ist, daß das dem Isolationsgrundsatz zuwidergelaufen wäre, nämlich Menschen ihrer Ausdrucksmöglichkeiten und Gefühlsäußerungen soweit als möglich zu berauben. Für einen Menschen wie mich ist es möglich, mich/meine Gefühle durch Musik auszudrücken – ich hätte Gefühle der Trauer im Spielen von Bach- Fugen ausdrücken und nach außen bringen können, und genau deshalb wurde mir so ein Gerät nicht genehmigt.
Statt dessen die Flöte, von der bekannt war, daß ich das erst lernen muß – mir eine Flöte anstatt eines Keyboards zu genehmigen kommt mir ähnlich vor, wie einem Verdurstenden Milchpulver zu geben – der weiß dann immer, daß es Milch gibt und es in seiner Situation gut wäre, die zu haben. [...]
Isolation ist für einen selber ziemlich schwer zu verstehen – das, was ich befürchtet hatte, daß ich mich sehr oft allein fühle, daß mir die Decke auf den Kopf fällt, daß ich nichts mit der ganzen Zeit anzufangen weiß, all das ist nicht eingetreten. Das liegt sicherlich auch mit daran, daß es für mich über lange Jahre klar war, daß das nach einer Verhaftung, falls ich sie überlebe, kommen würde; für Menschen, die völlig unvorbereitet in eine solche Situation kommen, ist es vermutlich ganz anders.
Zum Prinzip von Isolation gehört auch, Menschen möglichst umfassend aller sinnlichen Wahrnehmungen zu berauben – das fängt bei der Zelle an (die einzigen Farben, die darin vorkamen, waren Grün und Weiß –, das haben sie wirklich bis zum Zahnbecher durchgezogen, und auch alle Sachen, die ich mir selber gekauft habe, was ja nur über den Knast ging, waren grün oder weiß). Um mich rum waren alle Zellen leer, und in Bielefeld war mir über mehrere Tage nicht klar, ob ich in einem Trakt und dort die einzige Gefangene bin oder ob da noch andere Menschen sind – also die Zelle, und weil eben alles drumrum leergeräumt war, war relativ geräuschisoliert. Außer der Isolierung von anderen Menschen war es auch eine weitgehende Reduzierung visueller und akustischer Reize und auch eine der Gerüche. [...]
Ich kenne mich kaum mit biologischen Fragen aus, aber offensichtlich reagieren die Sinnesorgane von Menschen im Fall einer weitgehend eingeschränkten Wahrnehmungswelt so, daß sich ihre Wahrnehmungsfähigkeit total steigert. Es findet eine unglaubliche Sensibilisierung statt, um wirklich nichts von dem, was in dieser reduzierten Welt noch wahrnehmbar ist, zu verpassen und um Dinge wahrnehmen zu lernen, die vorher nicht wahrgenommen worden sind. Ich will das mal am Beispiel des Geruchssinns versuchen zu verdeutlichen, weil mir das selber schon teilweise verrückt vorgekommen ist. [...]
Mein Geruchssinn hatte sich nach etwa einem halben Jahr in Isolation so geschärft, daß ich es vermutlich mit jedem Zollhund hätte aufnehmen können. An Tagen, an denen ich Anwaltsbesuch hatte, wurde häufig die Zelle durchsucht. Wenn ich dann, oft Stunden nach der Durchsuchung und obwohl das Zellenfenster immer einen Spalt offen war, wieder in die Zelle gekommen bin, wußte ich fast immer, wer von den SchließerInnen die Zelle durchsucht hatte, und manchmal war es mir sogar möglich herauszufinden, welche Sachen sie dabei länger in den Händen hatten – einmal wußte ich beispielsweise bei einem Pappordner mit eingehefteten Papieren ganz genau, daß und von wem er durchwühlt worden war – ich konnte es erriechen.
Das hört sich vielleicht jetzt ganz witzig und durchaus praktisch an, ist es in dem Fall ja auch, aber die oder eine Wirkung von Isolation und warum Isolation Folter ist, ist die, daß bei Menschen, deren Sinneswahrnehmungen systematisch gesteigert, auf ein solch überhöhtes Maß gesteigert werden, daß jedes „Normalmaß“ zu einem Reiz und einer Wahrnehmung wird, die einem unerträglich, bis hin zur Schmerzgrenze unerträglich ist.
Auch das will ich noch mal am Geruchssinn zu erklären versuchen – als mir das mit den reduzierten Gerüchen aufgefallen war, hatte ich überlegt, daß ich mir Gerüche in die Zelle hole, und habe einem Freund geschrieben, er soll auf den nächsten Brief an mich einigen Tropfen Patschuliöl träufeln. Als ich den Brief, der bei dieser rigiden Postzensur lange unterwegs war, endlich hatte, fand ich das zuerst ganz schön, ich konnte mich an dem Geruch nicht sattriechen (der zu dieser Zeit wahrscheinlich schon so weit verflogen war, daß ein normaler Mensch ihn wohl schon nicht mehr gerochen hätte). Aber schon nach kurzer Zeit konnte ich diesen Brief kaum noch in der Zelle ertragen und habe überlegt, ob ich ihn verbrennen soll. Das habe ich dann nicht gemacht, sondern ich habe ihn, in Plastiktüten verpackt, in die hinterste Ecke vom Schrank gelegt, das ging dann. [...]
Ich war insgesamt mehr als 13 Monate in Einzelhaft, und danach gab es in Bielefeld über mehrere Wochen geringe Lockerungen – diese ganze Zeit in Isolation, auch die Monate, in denen ich 24 Stunden in der Zelle eingesperrt war und nicht mal Hofgang hatte, diese Zeit habe ich nie als unerträglich empfunden – als schwer ja, das auf jeden Fall, aber auszuhalten und trotzdem für mich selber einen Lebenssinn auch in diesem reduzierten Rahmen zu finden. Als wirklich unerträglich, auch im Sinn von körperlichem Schmerz, habe ich nur eine ganz kurze Zeit erlebt und empfunden, und das war die allererste Zeit hier in Frankfurt.
Der Bundesanwaltschaft sind natürlich die Ergebnisse jahrelanger Isolations- beziehungsweise Folterforschung bekannt, und so kam ich hier in den Normalvollzug und in eine Zelle mit einer Baustelle vorm Fenster, wo mehrere Wochen acht Stunden täglich ein Bagger im Einsatz war und dazu in die lauteste Zelle auf der ganzen Station. Das war eine Situation, die vermutlich jeden Menschen genervt hätte, für mich war sie kaum auszuhalten – wahrscheinlich würden es andere Menschen ähnlich empfinden, wenn sie gezwungen wären, am Rand des Rollfelds eines Flughafens zu leben.
Mittlerweile ist das anders, meine Sinne haben sich wieder Richtung Normalmaß zurückgebildet, aber gerade daran, daß ich die Zeit unmittelbar nach der Isolation als die schlimmste wahrgenommen habe, wurde mir selber die Wirkungsweise noch mal sehr viel deutlicher.
Jean Améry schreibt in seinem Versuch, seine Auschwitz-Erfahrungen zu verarbeiten, daß Menschen, die gefoltert werden, diejenigen, die sie foltern, als „Gegenmensch“ wahrnehmen. In Isolation bist du von einer unglaublichen Kälte umgeben (bis auf das wenige, was durch Briefe oder Besuche diese Mauer durchdringt), und du erwartest von denen, die das organisieren, nichts als Gemeinheiten und ständig neue Schläge – und genau das entspricht auch der Realität. Diese Haltung, diese Erwartung hatte ich vom Tag meiner Verhaftung an, und ich kann sagen, es ist in der ganzen Zeit nur selten etwas passiert, was diesen Erwartungen entsprochen hätte. Gerade auch das Niveau, auf dem in Bielefeld die Isolation gegen mich trotz unglaublich hohem Arbeitsaufwand exzessiv durchgesetzt wurde – von der Knastleitung bis dahin, daß die untersten Schließerinnen, wenn ich am Fenster mit anderen Gefangenen über größere Entfernungen gerufen habe, in den leeren Zellen dazwischen die Fenster geöffnet und Radio angestellt haben, um zwischen uns eine Geräuschkulisse zu schaffen, daß selbst das Reden am Fenster nicht mehr möglich war. Ein Mensch, der das und nichts anderes als unmittelbare Lebens- und Umwelterfahrung über Monate erlebt, der Mitmenschen eben vor allem als Gegenmenschen erlebt, dem bleibt gar nichts anderes übrig, als sich in sich selber zurückzuziehen, Mauern um sich zu errichten, denn du kannst nicht all diese Schläge bis in dein Innerstes durchhaun lassen, das hält kein Mensch aus; du mußt dich davor schützen.
Ich selber habe die Wirkungen der Isolation auf mich immer dann am deutlichsten gespürt und auch verstanden, wenn Dinge passiert sind, die das Isolationsprogramm durchbrochen haben. Wenn Situationen eintreten, in denen du unvorbereitet auf normale und eben nicht gegenmenschliche Umgehensweisen triffst, wird das in einer solchen Lebenssituation durchaus als schmerzhaft erfahren, weil dadurch was aufgerissen wird. Ich kann mich zum Beispiel erinnern, daß ich im Sommer von einem Arzt untersucht worden bin, der sich mir gegenüber völlig normal verhielt; es war eigentlich nicht mehr, als daß er mich nicht entwürdigend behandelt hat, und das war angesichts meiner Lebenssituation ein wirklich herausstechendes Ereignis. Allein die Tatsache, daß entgegen der ständigen Realität keinerlei Entwürdigung stattgefunden hat, hat mich unglaublich aufgewühlt und beschäftigt. [...]
Über Isolation und ihre Wirkungen gibt es bisher nur sehr wenige aufgearbeitete Erfahrungen von Betroffenen. Deshalb habe ich im letzten Jahr sehr viele Bücher von Menschen gelesen, die anderen Formen der Folter ausgesetzt waren – von KZ-Häftlingen zum Beispiel oder von Gefangenen aus lateinamerikanischen Ländern, eben immer auf der Suche, in Ähnlichkeiten oder Beschreibungen, an denen mir Unterschiede deutlich werden, meine eigene Situation besser begreifen zu können.
Jetzt, wo ich dies hier angefangen habe aufzuschreiben, habe ich an meinem eigenen Aufgewühltsein gemerkt, wie wenig fertig das alles für mich ist. Wahrscheinlich liegt darin schon ein wesentlicher Fehler: fertig sein – diese Vorstellung, und die hatte ich bis vor kurzem, ich könnte diese Zeit als Phase meines Lebens jetzt bald abschließen, muß ich vermutlich grundsätzlich in Frage stellen. Oder anders, hinterlassen 13 Monate Einzelhaft in einem Menschen Spuren, die er für den Rest seines Lebens in sich trägt? Améry hat auch geschrieben: „Wer gefoltert wurde, bleibt gefoltert. Unauslöschlich ist die Folter in ihn eingebrannt, auch dann, wenn keine klinisch objektiven Spuren nachzuweisen sind.“ Wenn er damit recht hat, trifft das auch auf Menschen zu, die Isolationsfolter unterworfen waren? Und wenn ja, was heißt das für mich? Wenn mich jemand fragen würde, ob ich mich als Folteropfer fühle, würde ich das nicht unbedingt bejahen – bei anderen ja, bei mir selber nicht, denn ich will das nicht sein, nicht in der Konsequenz, die Améry behauptet; ich will das abschließen und hinter mir lassen.
Am letzten Prozeßtag war ein Genosse von den Tupamaros im Gerichtssaal – er hat mir einen Gruß ausrichten lassen und im Gespräch einen Satz gesagt, der mich seitdem nicht in Ruhe läßt: „Sie kann Blicke nicht halten, sie kann andere Menschen nicht lange anschauen – das ist bei Leuten, die längere Zeit in Isolation waren, immer so, das war bei uns in Uruguay auch so.“ Mir sind sofort x Gründe eingefallen, warum das nicht stimmt, daß das hier im Gerichtssaal bloß deshalb so ist, weil ich mir wie ein Zootier vorkomme, daß ich beobachtet werde und daß, wenn ich mir in der Nase bohre, das am nächsten Tag in den Zeitungen nachzulesen ist. Aber das alles ist Quatsch, schon an der Schnelligkeit und der Gereiztheit meiner Gegenargumente war mir das schnell klar; es stimmt, ich kann andere nicht lange anschauen. Solche Wirkungen von Isolation bei sich selber zu beobachten hat natürlich auch was Bedrohliches – was kommt da noch alles, von dem ich heute noch nichts weiß? Und vor allem, was wird bleiben? Gibt es Zerstörungen, die ich Zeit meines Lebens nicht mehr loswerde? Werde ich überhaupt jemals wieder fähig sein, intensive Beziehungen mit anderen Menschen zu leben, oder wird ein Teil von mir eingesperrt bleiben? [...]
Das waren jetzt alles nur Bruchstücke – aber es sind Bruchstücke und Fragen, die den Kern von Isolationsfolter und ihrer Wirkung gegen Menschen betreffen.
Die Aufzählung von Fernsehgeräten, Querflöten und Büchern berührt diesen Kern nicht; das ist logisch, denn es ist die Bundesanwaltschaft, die seit mehr als 22 Jahren diese Sorte Haftbedingungen gegen uns organisiert und die genauso lange schon behauptet, es würde sich dabei um die humansten Haftbedingungen der Welt handeln.
Der Text wurde leicht gekürzt. Birgit Hogefeld hat ihn am 22. November, dem Tag der Anklageverlesung, als ihre Erklärung zu den Isolationshaftbedingungen in dem Prozeß gegen sie vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt vorgelesen.
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