: Jelzin droht „Duce“ Dudajew
■ Rußland stellt Tschetschenien ein Ultimatum / 58 russische Soldaten bei jüngsten Kämpfen in Gefangenschaft geraten
Moskau (taz) – Bis Donnerstag 6 Uhr früh hat die politische Führung von Rußlands abtrünniger Kaukasusrepublik Tschetschenien Zeit, um dem internen Machtkampf ein Ende zu setzen, alle Kampfparteien zu demobilisieren und die gefangenen russischen Soldaten auf freien Fuß zu setzen. So fordert es ein Ultimatum, das der russische Präsident Boris Jelzin gestern dem aufständischen tschetschenischen Präsidenten in der Hauptstadt Grosnij, Dschochar Dudajew, stellte. Sollte die Frist nicht eingehalten werden, droht Moskau mit der Verhängung des Ausnahmezustands.
Der Drohung Moskaus war am Wochenende eine schwere Niederlage der Gegner Dudajews vorausgegangen. Eine Offensive der Truppen des „Provisorischen Rats“ wurde im Stadtzentrum Grosnijs von Anhängern des Präsidenten blutig aufgehalten. Nach Angaben tschetschenischer Quellen kamen dabei dreihundert Soldaten der Opposition ums Leben.
Was die Regierung in Moskau mehr beunruhigt, ist das Schicksal von 58 russischen Soldaten, die in tschetschenische Gefangenschaft gerieten. Dudajew drohte mit ihrer Exekution nach „islamischem Recht“, sollte Rußland seine Intervention auf seiten der Opposition nicht offen eingestehen. In diesem Fall werde man sie wie „normale Kriegsgefangene“ behandeln. Rußlands seriöse Tageszeitung Iswestija brachte gestern Porträts einiger der jungen Wehrdienstleistenden. Sie hatten vorher zu Protokoll gegeben, in Garnisonen in der Nähe von Moskau zu dienen.
Der Föderale Sicherheitsdienst, der ehemalige KGB, wies Vorwürfe zurück, die russischen Truppen seien von ihm angeworben und dorthin geschickt worden. Desgleichen reagierte Verteidigungsminister Pawel Gratschow. Er nannte die Beteiligung russischer Soldaten „Blödsinn“. „Eine ganze Zahl Söldner aus Afghanistan, dem Baltikum und anderen Staaten, Rußland eingeschlossen, kämpft auf seiten Dudajews“, versuchte Gratschow die Beteiligung seines Ministeriums zu relativieren. Diese Version ruft erhebliche Zweifel hervor. Denn ein Teil der Gefangenen sagte aus, für gutes Geld vom Geheimdienst angeworben worden zu sein. Andere behaupteten, von Aufgabe und Einsatzort nichts gewußt zu haben.
Die Einmischung Rußlands in Tschetschenien steht außer Zweifel. Die Frage ist nur, ob Moskau zur offenen Konfrontation übergeht. Bisher beschränkte die russische Regierung sich darauf, Geld, Waffen und Logistik zu liefern. Verfassungsrechtlich stehen dem Kreml alle Möglichkeiten offen. Die Sezession Tschetscheniens aus dem Verband der Russischen Föderation besitzt keine juristische Grundlage. Dennoch zögerte Moskau bislang. Für die russische Regierung hat der Kaukasus ein vitales Sicherheitsinteresse. Nur über ihn lassen sich die anderen ehemaligen Sowjetrepubliken kontrollieren. Greift Rußland militärisch ein, könnte das verheerende Folgen haben. Die zahlreichen anderen kaukasischen Völker, die im 19. Jahrhundert unter die russische Knute gezwungen wurden, würden kaum zögern, den bedrohten Tschetschenen zur Seite zu eilen. In Tschetschenien selbst würde der umstrittene „Duce“ Dudajew mit einer Welle der Solidarität rechnen können – für ihn das einzige Mittel, um an der Macht zu bleiben. Das wissen Opposition und Moskau. Es tönt scharf aus dem Kreml, mehr ist aber wohl nicht zu erwarten. Klaus-Helge Donath
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