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„Die Regierung war mitschuldig“

■ Die indische Anwältin Indira Jaising setzt sich seit Jahren für die Rechte der Giftgas-Geschädigten in Bhopal ein

taz: Warum ist das Verfahren gegen Union Carbide noch immer nicht abgeschlossen?

Indira Jaising: Es fehlt der politische Wille, Union Carbide zu verurteilen. Die Regierung hat ein Interesse an internationalen Investitionen, und eine Verurteilung paßt schlecht in diese Politik. Sie verfügt über das gesamte Beweismaterial – trotz Aufforderung des Gerichts rückt sie es nicht raus.

Hat die Regierung Angst, sie könnte selber unter Anklage gestellt werden?

Natürlich, die Regierung war mitschuldig. Sie erlaubte Einfuhr und Produktion gefährlicher Chemikalien, sie vernachlässigte ihre Pflicht, die Sicherheitsvorschriften durchzusetzen. Als sie sich 1985 zum alleinigen Rechtsvertreter der Opfer machte, hatte das sicher auch richtige Motive, zum Beispiel den Versuch, Union Carbide in den USA vor Gericht zu bringen. Aber sie hätte die Schadenersatzsumme niemals ohne Einverständnis der Opfer akzeptieren dürfen.

Welcher Nutzen kann ein Aufrollen des Falles haben?

Es geht zuerst einmal um die moralische Genugtuung für die Opfer. Haben diese Menschen nicht das Recht zu wissen, wer die Verantwortung trägt? Zum zweiten haben wir es mit dem schlimmsten Industrieunglück der Geschichte zu tun. Soll es nirgendwo dokumentiert sein, wer was wann unterlassen oder falsch gemacht hat? Wäre dies nicht die Gelegenheit gewesen, national und international rechtliche Verantwortlichkeiten festzusetzen? Natürlich haben wir heute ein Umweltschutzgesetz und UNO-Konventionen. Aber ist das Verantwortungsgefühl bei Regierung und ausländischen Firmen dadurch gestiegen? Noch immer werden gefährliche Stoffe, darunter nukleare, zum Beispiel von australischen Firmen in Indien endgelagert. Oder schauen Sie doch das Gatt-Abkommen an! Gibt es im Text Vorschriften, welcher Natur die gehandelten Güter sein müssen? Gibt es Sicherheitsauflagen für investierende Firmen? Noch immer haben viele Multis unterschiedliche Standards in einem Entwicklungsland und zu Hause. Das war der Grund, warum wir ein Urteil in den USA wollten: Es hätte die Firmen gezwungen, die Verantwortung für ihre Tochterfirmen zu übernehmen. Ich weiß, es wird zu keinem Urteil kommen. Aber solange die Opfer leben, werden sie die Verantwortlichen nicht in Ruhe lassen. Interview: Bernard Imhasly

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