Wand und Boden
: Von Flecken zu Flecken

■ Kunst in Berlin jetzt: Brandenburg, Bayer, York der Knöfel, Ulay

Zum stillen Ort ist eine Nebenkammer der Galerie Bruno Brunnet Fine Arts hergerichtet worden. In diesem Kabinett hängen reihum 14 Zeichnungen von Marc Brandenburg – herbstlich gekleidete junge Männer, die sich in Pfützen spiegeln, graue Wolken, entenähnliches Spielzeug. Daneben Selbstportraits als Melancholiker: Der Künstler im Quilt, mit Augenlidern so schwer, das kein Aspirin auf Erden noch Abhilfe schaffen könnte. Das alles schaut sehr schwul aus – nicht bloß wegen des einen Boys, dem B. beim Fummeln durchs Schlüsselloch hinterhergespannt hat. Es ist der Stil. Cremig-weich arbeitet sich der in London lebende Deutschamerikaner mit dem Bleistift in die Fläche, setzt selbst einem Lächeln noch Lichtpunkte auf, ohne aus den Charakteren mehr als gelangweilte Noblesse herausholen zu wollen. Die Darstellung übertreibt jene spröde leerlaufenden Lebenszusammenhänge, die wiederum genüßlich bis ins letzte Detail ausgearbeitet sind. Mitunter versinken seine Modelle schlaff im Sofa, ohne ihr Lodenjankerl abgelegt zu haben. Nicht die Welt, sondern das Bild wirkt überkandidelt, wenn es Bezugloses fast feierlich ornamentalisiert. Während das Genre der Zeichnung sonst dazu dient, knapp und ökonomisch Gegenstände zu umreißen, verliert sich Brandenburg im eigenen Treiben. Er parodiert die Gewichtigkeit künstlerischer Ideen, die in der Skizze oft mit der Formlosigkeit des Noch-nicht-zur- Sprache-gefunden-Habens kokettiert. Statt dessen hat Brandenburg die besseren Titel: „Teenage Topics and Metal Gurus“ – auf Suche nach dem verlorenen Glam.

Bis 20. 1., Di.–Fr. 12–18.30, Sa. 11–15 Uhr, Tauroggener Str. 15.

Die nächste Stufe der Darstellungsmöglichkeiten ist komplizierter. Knut Bayer hat seine Ausstellung „Stilleben (still life, nature morte)“ betitelt. Auch hier ist nur zum Teil drin, was draufsteht. Bayer aquarelliert, Blumen, Disteln, Botanisches. Alles hauchzart Wasser in Wasser getuscht – Bilder kurz vor dem Verschwinden. Seine Fähigkeit, fast farblos verblichene Gegenstände zu umreißen, sie in eine Zwischenzone von Naturalismus und Abstraktion zu tauchen, ist enorm. In der weißen Galerie auf weißem Papier Schemen anzubieten läßt sich mit einer Kritik an der Repräsentation nur ungenügend umreißen. Gerade die scheinbare Abwesenheit der Dinge erzeugt deren höchste Präsenz. „Wie sollte Gegenwartskunst die Erfahrung einer in Stücke zerfallenen, ausdifferenzierten Welt ohne einen formalen, technischen und ästhetischen Bezug auf Grundkategorien ästhetischer Erfahrung, sinnlicher Wahrnehmung, leisten?“ fragt Werner Köhler im Katalogbeitrag über Bayer, der auch bei „Korrespondenzen“ in der Berlinischen Galerie vertreten ist. Es geht darum, wieder genauer hinzusehen. Die Stilleben sind ein Angebot.

Bis 22. 1., Mo.–Fr. 12–18, Sa. 11–14 Uhr, Galerie Barbara Weiss, Potsdamer Straße 93.

Solcherlei Anstrengungen sind York der Knöfel fremd. Vom DDR-Underground bis in die daadgalerie scheint der Weg lustig gewesen zu sein. Zur Eröffnung spielten „Ornament und Verbrechen“, auch das hat einen gewissen Charme in seiner Antihaltung. Formal ist Knöfel nicht beizukommen: In der Galerie Wohnmaschine stellte er Alltagstrash zusammen, jetzt zeigt er Farbe. Auf großformatigen mit Ölkreide und Graphit überarbeiteten abstrakten Bildern ist so ziemlich die ganze Palette vertreten, von Flecken zu Flecken kann man sich wilde Malerei und Expressionismus dazudenken. Die Linienführung bleibt willkürlich, ganz Monolog des Künstlers an die Materie. Dann wieder hat er Tapeten mit Indianerfiguren bestempelt, die ab und an in Tropfen auf dem Blatt verschwommen sind. Knöfel treibt Schabernack mit dem Dekorativen, indem er es in der Geste akademischer Diskurse wiederholt. Es ist nicht die Malerei, die sich abgenutzt hat, sondern das Reden darüber. Plötzlich steht man allerdings vor Zeichnungen im DIN-A4-Format, die in Deckenhöhe gehängt sind. Wunderbar sanft durchlaufen die schraffierten Flächen das Farbspektrum, kreuzen sich im Verbund oder ergänzen einander. Der Rest reiht sich mehr anekdotisch unter die grüblerische Moderne ein.

Bis 15. 1., täglich 12.30–19 Uhr, Kurfürstenstraße 58.

Am Anfang war der Diebstahl: Ulay, dessen bürgerlicher Name Uwe Laysiepen nichts weiter zur Sache tut, hatte 1976 als „Eine kriminelle Aktion“ Carl Spitzwegs Bild „Der arme Poet“ aus der Neuen Nationalgalerie entwendet. Situationistisch, spontan und einfach so, wie es schien. Dann tauchte das Leitbild deutscher Romantik jedoch in der Kreuzberger Wohnung einer türkischen Familie wieder auf. Damit war die Brücke geschlagen: Öffentlichkeit versus Privatheit, nationale Identität versus Ausgrenzung, Kunst versus Politik. Ulay wurde von der Bild-Zeitung mal als Linksradikaler, dann als Irrer beschimpft, die Nationalgalerie erteilt ihm Hausverbot. Jetzt ist diese Geschichte Teil einer Dokumentation in der Galerie im Pferdestall, mit der die KulturBrauerei ihre neuen Räume eröffnet. 19 gelb kolorierte Prints aus einem Filmmitschnitt fassen wie im Zeitraffer die Geschehnisse von 1976 zusammen, ein stark verlangsamtes Video brennender Häuser aus Rostock, Solingen und Mölln soll für den aktuellen Bezug sorgen. Im Nebenraum hat Ulay neuere Arbeiten installiert. Noch immer scheint er von der Macht, die das Museum bei der Bildung kultureller Identität ausübt, besessen zu sein. Eine Dia-Show wirft Negativbilder von klassizistischen Säulengängen, die Gebäude der Museumsinsel säumen, auf neun gestapelte Leinwände. Die Projektion zerfällt im Konstrukt, die gründerzeitliche Verwurzelung Berlins – Wunschbild zahlreicher Bauplaner – zersplittert. Doch mit der Parallelisierung von neuen Ikonen und symbolischem Bildersturm ist diesem Wandel kaum beizukommen. Zwischen links und rechts bleibt der Künstler Aktivist, aber ein ratloser.

„Die erste Tat“, bis 8. 1., Mi.–So. 16–21 Uhr, Knaackstraße 97.

Harald Fricke