: Ungerechtigkeit schlägt aufs Gemüt
■ Mexikos neuer Präsident verspricht „gerechteres Mexiko“ / Steinwürfe und Tränengas bei Gegendemonstrationen
Mexiko-Stadt (taz) – Seit Donnerstag ist Carlos Salinas de Gortari wieder ein Bürger wie jeder andere. Die grün-weiß-rote Schärpe hatte er um Punkt 11 Uhr seinem früheren Bildungsminister Ernesto Zedillo übergeben: Wie schon seit über 60 Jahren ist es auch diesmal wieder ein ehemaliges Kabinettsmitglied, das für die nächsten sechs Jahre die Geschicke Mexikos lenken soll. In seiner Antrittsrede versprach der frischgekürte Präsident vor Tausenden von geladenen Gästen – darunter auch Fidel Castro und George Bush – nichts weniger als ein „gerechteres Mexiko“: „Millionen von Mexikanern“ leben, so Zedillo, trotz aller Prosperität in „beschämender Armut“. Die Chiapas-Krise sei den Mexikanern vor allem durch die „tiefe Ungerechtigkeit“ auf das Gemüt geschlagen. Wichtigste Message: Der Waffenstillstand wird eingehalten und eine „neue Verhandlung“ versucht.
Auch in zwei weiteren Punkten versuchte der neue Staatschef sich von der Linie seines Vorgängers abzuheben. Aufgrund der verbreiteten „Korruption und Ineffizienz“ werde man eine „tiefgreifende Justizreform“ in Angriff nehmen. Und die Untersuchungen der zwei Polit-Attentate dieses Jahres werde man intensivieren.
Auch bei der Regierungsbildung gab es Überraschungen. Zum ersten Mal wurde ein Oppositionspolitiker ins von der ewigen Regierungspartei PRI gebildete Kabinett geholt: Die Bundesstaatsanwaltschaft wird künftig vom Fraktionsführer der rechtsliberalen PAN, Antonio Lozano, geleitet werden. Auf Unverständnis stieß dagegen die Ernennung des ehemaligen PRI-Vorsitzenden Ignacio Pichardo zum neuen Energieminister: Erst vor wenigen Tagen war er öffentlich beschuldigt worden, die Ermittlungen im Fall des ermordeten PRI-Generalsekretärs zu verschleppen.
Im Vergleich zu 1988 ging die Amtsübergabe diesmal glimpflich über die Bühne. Während vor sechs Jahren vor und im Parlamentsgebäude BürgerInnen und OppositionspolitikerInnen lautstark gegen den umstrittenen Salinas-Antritt protestierten, herrschte am Donnerstag zumindest im Sitzungssaal Ruhe. Die linke PRD drückte ihren Protest lediglich in demonstrativem Nicht- klatschen aus: Applaudieren werde man erst, so die PRD-Abgeordneten trotzig, „wenn die Versprechen auch wirklich erfüllt werden“. Genau daran mochten die rund 10.000 PRD-Anhänger und Mitglieder der Nationalen Demokratischen Konvention (CND), die zur gleichen Zeit im Stadtzentrum demonstrierten, nicht mehr glauben: Sie verlangten eine „nationale Debatte über die indianischen Menschenrechte“ und eine „würdige Lösung“ der Wahlprobleme im Südosten des Landes.
Am frühen Nachmittag versuchte eine Gruppe von etwa 2.000 DemonstrantInnen, das friedliche Meeting gewaltsam aufzumischen – mit Erfolg. Auf Steinwürfe, kaputte Schaufenster und brennende Autos reagierten die Sondereinheiten der Polizei, so Reporterberichte, „ungewöhlich brutal“: mit Schlagstöcken und Tränengas gingen die Uniformierten gegen die „Unruhestifter“, aber auch gegen unbeteiligte DemonstrantInnen, JournalistInnen und Schaulustige vor. Über 30 Menschen wurden bei den Zusammenstößen verletzt. Anne Huffschmid
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