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„Wir müssen Lust auf Beiratsarbeit machen“

■ Interview mit Robert Bücking, dem Nachfolger von Hucky Heck als Ortsamtsleiter Mitte / Östliche Vorstadt

taz: Hucky Heck ist vor einem halben Jahr als Ortsamtsleiter Mitte/Östliche Vorstadt zurückgetreten, weil er es nicht mehr ertragen konnte, wie die Ideen des Beirats und des Ortsamtes im Behördendschungel festgefahren sind. Glaubst Du, daß Du das besser kannst?

Robert Bücking: Natürlich glaube ich nicht, daß ich das besser kann. Hucky ist ja mit allen Wassern gewaschen worden und wird am Schluß den Dschungel viel besser gekannt haben als ich jetzt. Aber der Unterschied ist: Als Hucky vor sechs Jahren angetreten ist, da war er der erste grüne Amtsträger in Bremen überhaupt. Entsprechend lasteten übergroße Erwartungen auf ihm. Und dann trat er als Repräsentant eines Stadtteils auf, von dem man vermutet hatte, daß da ein großer Veränderungswille schlummert. Insofern hatte er sich sehr viel vorgenommen.

Aber diese Bilanz ist ungerecht, weil Hucky doch sehr viel bewegt hat. Trotzdem, dieses Verhältnis zwischen den ganz hochgespannten Erwartungen und dem, was sich dann im Alltag hat realisieren lassen, mußte enttäuschend sein.

Das heißt, Du kannst es nicht besser, aber Du kannst den Frust besser aushalten?

Man definiert die Maßstäbe so bescheiden, wie es angemessen ist. Und dann ist das nicht nur ein subjektiver Unterschied, sondern die öffentlichen Erwartungen sind ja auch viel nüchterner geworden. Nach bald vier Jahren Ampel kann man Politik zur Zeit ja immer nur als Enttäuschung verarbeiten, und nur noch wenige glauben, daß das ein subjektives Versagen ist.

Huckys Rücktritt hatte vor dem Sommer bei den Beiräten einen großen Sturm der Entrüstung über ihre Einflußlosigkeit entfacht. Geworden ist aus den damals erhobenen Forderungen bis heute nichts. Wie denkst Du, daß man in dieser Situation wieder Motivation und Spaß an der Beiratspolitik schaffen kann?

Mir steht es nicht zu, jetzt zu zensieren, wie dieser Kampf denn hätte ausgefochten werden sollen. Aber man hat den Eindruck, die Situation ist so verfahren, daß ein Aufstand von unten nicht möglich ist. Also müßten wir versuchen, einen kurzen Moment Atem zu schöpfen und die Lage neu auszuwerten: Was ist in den vier Jahren mit neuem Beiratsrecht erfolgreich gewesen und was nicht? Und dann gucken, ob wir eine große Koalition von unten hinbekommen für eine Novellierung dieser rechtlichen Rahmenbedingungen. Das wäre ein Punkt, um den man sich in nächster Zeit richtig kümmern muß.

Ein zweiter Punkt ist davon ein Stück unabhängig: Ich glaube, daß Beiräte zu Zeiten, als sie noch viel, viel schlechter als heute mit Rechten ausgestattet waren, zum Teil eine sehr viel selbstbewußtere und folgenreichere Politik gemacht haben. Es hängt also offenbar nicht nur von den rechtlichen Rahmenbedingungen ab. Vielleicht ist es ein Ausweg aus der Situation, jetzt zu sagen, wir wenden uns lieber mehr an die Öffentlichkeit, machen also klassische Politik, anstatt uns darauf zu spezialisieren, die Verwaltung zu rügen.

Ist das dann ein Rückzug aus dem Verwaltungsbereich, in dem Hucky sich so festgefahren hatte?

Eine Stadt funktioniert ja nicht so, daß da etwas beschlossen wird und der Rest funktioniert. Zum Beispiel im Ostertorsteinweg, da kommt es nach der Verkehrsberuhigung jetzt darauf an, daß wir mit diesem Zugewinn an urbanem Raum auch etwas anfangen können. Daß da wirklich Leben stattfindet, daß die Vitalität, Toleranz, der Amüsierwille und die Geschäftstüchtigkeit dieser Quartiere entwickelt wird und keinen Schaden nimmt. Aber noch ist die Verkehrsberuhigung nicht abgeschlossen, der Kompromiß muß gepflegt werden. Jeder ahnt: diese Arbeit erschöpft sich nicht in Verwaltungshandeln.

In der Verkehrspolitik kommt jetzt die Auseinandersetzung um die Georg-Bitter-Trasse. Welche Aufgabe hat da das Ortsamt?

Jetzt geht es zunächst mal darum, Meinungsbildung zu organisieren.

Aber die liegt doch auf der Hand: die Anwohner der Stader Straße sind dafür, die der Georg-Bitter-Straße dagegen.

Das die Leute in der Stader Straße die Sache so simpel diskutieren, ist noch nicht raus. Aber einen Bruchpunkt wird es schon geben. Wir müssen jetzt mal genau gucken, wieviel Verkehr lauert noch in der Neustadt hinter der Erdbeerbrücke? Es gibt Schätzungen, nach denen rund 16.000 zusätzliche Autos gerne täglich über die Erdbeerbrücke führen, wenn da kein Stau wäre. Dann ist die Frage, wie bekommen wir mehr ÖPNV auf die Erdbeerbrücke. Und wo fahren die Autos eigentlich hin? Kann man da mit Fahrgemeinschaften Verkehr vermindern?

Die schnelle Lösung, einfach die Betonmischer loszuschicken, muß langfristig ja sowieso wieder gegen die Wand laufen. Wenn wir in den nächsten zehn Jahren tatsächlich 30 Prozent mehr Verkehr bekommen, hat vermutlich das Quartier gewonnen, dem es gelingt, sich davon einen Teil vom Hals zu halten. Die Frage ist: Lassen sich ausreichend Interessen in der Stadt für einen anderen Weg als den klassischen mobilisieren? Darum geht es immer.

Anderes Beispiel: Das Tausend-Pfähle-Programm, mit dem nach der Verkehrsberuhigung im Ostertorsteinweg das wilde Parken in den Wohnstraßen verhindert werden sollte, hängt zu Zeit – offenbar auch, weil das Ortsamt keinen rechten Druck mehr dafür macht. Soll der jetzt neu entfacht werden?

Ich hätte es natürlich viel schöner gefunden, wenn man die Straßen von den Autos freikriegen würde, ohne daß man diese unendlichen Pfahlreihen verbuddeln müßte. Man bekommt das Gefühl, daß ist gar keine richtige Straße mehr, sondern eine Viehweide und irgendwann macht man einen Elektrozaun dran. Warum macht man keine anständige Verkehrsüberwachung und drückt Bons auf ohne Ende? Das wäre doch charmanter und billiger als die Pfähle.

Also Parken im Viertel nur noch für Reiche?

Für die, die bereit sind, jede halbe Stunde 50 Mark abzudrücken. Mal sehen, wie reich die Leute sind. Aber es ist natürlich ein wahnsinniges Risiko, die ganze Sache jetzt nochmal aufzurollen. Der Druck gegen die Verkehrsberuhigung insgesamt ist ja so riesig, daß jede Bereitschaft zur Flexibilität ganz schnell zum Zurückdrängen von Verkehrsberuhigung führt.

Gibt es noch einen wichtigen Bereich, in dem das Ortsamt in der nächsten Zeit aktiv werden muß?

Nur vorweg: das Ortsamt handelt auf der Basis der Beiratsbeschlüsse. Was ich hier also vortrage, sind keine Ankündigungen, sondern das ist meine schlichte Meinung.

Da ist also zum Beispiel die Innenstadtentwicklung. Die Erfahrung der letzten Amtszeit ist ja, daß da alle Entscheidungen auf höchster Ebene von den beteiligten Senatoren getroffen werden und die unterste Ebene der Beiräte nicht in der Lage ist, das in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Aber unterhalb dieser Ebene der Großprojekte, die ja offenbar sowieso nur selten in Gang kommen, weil sie immer vom großen Investor abhängen – egal, ob man sie nun blockiert oder unterstützt, gibt es doch noch Dinge, für die man sich erfolgreich engagieren könnte.

Zum Beispiel leide ich immer unter den Stadtfesten. Ich finde die unerträglich. In dieser Frage, wie eigentlich die Bühne Innenstadt bespielt wird, könnte man sich nochmal einmischen. Es müßte doch in Bremen möglich sein, mit dem gleichen Etat etwas zu machen, das die Stadt einladender macht. Das kann auch strategische Wirkung haben: Man entdeckt Plätze für neue Nutzungen. Und dann kommt man auf die Idee, irgendwann auch die architektonischen Voraussetzungen zu verändern.

Glaubst Du, daß es Menschen gibt, die sich für diese Art von Lokalpolitik engagieren wollen?

Das ist das A und O. Es wäre eine schöne Sache, das dreiviertel Jahr bis zu den nächsten Beiratswahlen dafür zu nutzen, um einen Horizont für Beiratsarbeit zu entwerfen, der einlädt. Der Leuten Lust macht, sich die nächsten Jahre dafür zu engagieren, und zwar in allen Fraktionen. Fragen: Dirk Asendorpf

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