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Von der Sonne verwöhnt

Das Freiburger Solarhaus kann sich auch im Winter selbst mit Energie versorgen  ■ Von Andreas Sentker

Das Haus hat keinen Schornstein und keinen Heizungskeller, es gibt weder Gas- noch Stromanschluß. Dennoch müssen sich die Bewohner nicht ins finstere Mittelalter zurückversetzt fühlen. Der Wohnraum ist ebenso angenehm temperiert wie der Weißwein im Kühlschrank. „Von der Sonne verwöhnt“ lautet nicht nur das werbeträchtige Motto badischer Winzer, das erste energieautarke Solarhaus des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg hat sich nach zwei Jahren Probezeit bewährt.

Sonnenkollektoren auf dem Dach sorgen für heißes Wasser zum Spülen, Baden und Kochen. Solarzellen wandeln das Sonnenlicht in elektrischen Strom um. Fassade und Fenster nehmen die Wärme der Sonneneinstrahlung auf und geben sie zeitversetzt an das Innere des Hauses weiter. Eine konsequente Wärmedämmung und das ausgeklügelte Lüftungssystem des Hauses sorgen dafür, daß keine überflüssige Energie an die Außenwelt abgegeben wird.

„Für uns war die entscheidende Frage: Kann man ein Wohnhaus auch in unseren Breiten so konstruieren, daß es sich nur mit seiner Hülle selbst energetisch versorgen kann?“ beschreibt Klaus Heidler vom ISE den Ansatz der Wissenschaftler. „Das Spannende war dabei nicht die durchschnittliche Energiebilanz. Häuser, die im Hochsommer Energie ins öffentliche Netz einspeisen und trotz eines externen Energiebedarfs zu bestimmten Zeiten im Durchschnitt soviel Energie verbrauchen, wie sie erzeugen, gibt es bereits seit einiger Zeit.“ Das Experiment sollte zeigen, daß ein Haus seinen Energiebedarf jederzeit, also auch im Winter, mit Sonnenenergie decken kann.

Der sommerliche Solarstrom wird genutzt, um Wasser elektrolytisch in seine chemischen Grundbestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zu spalten. Zurückgewonnen wird die Energie durch die klassische Knallgasreaktion, die ohne das sprichwörtliche Getöse und sorgfältig gesteuert in einer Brennstoffzelle abläuft. Der Wasserstoff wird jedoch nicht nur zur Stromerzeugung genutzt. Mit dem geruchlosen Gas wird auch das Essen auf einem speziell entwickelten Herd zubereitet und die Raumluft im Lüftungssystem erwärmt.

„Die Technik ist exorbitant teuer“, bremst Heidler die Phantasien energiebewußter Häuslebauer. „Das ist ein Labor, das wir als Wohnhaus ausgestattet haben.“ In einem beispielslosen Gesamtkonzept kombinierten die Freiburger die unterschiedlichen Techniken, die am Fraunhofer-Institut erprobt und weiterentwickelt werden – mit Erfolg. Eine Computersimulation machte die sorgfältig abgestimmte Zusammenarbeit verschiedener technischer Systeme möglich.

Noch vor dem ersten Spatenstich im September 1991 war das Energiekonzept gesichert. Die sogenannte solare Gebäudeklimatisierung mit Hilfe transparenter Wärmedämmung reicht in den meisten Fällen zur Heizung des Hauses aus. Durch transparente Dämmelemente fällt das Sonnenlicht auf schwarz angestrichenes Mauerwerk, das die Wärme aufnimmt und zeitversetzt an die Innenräume weitergibt. Die Wände aus massivem Kalksandstein speichern die Energie, das transparente Dämmaterial läßt die Sonneneinstrahlung das Mauerwerk erwärmen, sorgt aber andererseits auch für eine gute Wärmedämmung – der Treibhauseffekt ist erwünscht und wohl durchdacht. Eine Abschattungseinrichtung regelt die Wärmeströme und verhindert sommerliche Hitzewellen. Allein dieses System spart etwa achtzig Prozent der Heizenergie eines konventionellen Wohnhauses ein. Auch die nach Süden orientierten Fensterflächen wirken während des Tages als Sonnenkollektoren. Bei der Konzeption der Nordfassade stand eine gute Dämmung im Vordergrund. Ein Zellulose- Dämmstoff aus Altpapierflocken bot dabei die FCKW-freie Alternative zu den geschäumten Dämmaterialien.

Weiterentwickelte Kollektorsysteme nutzen die Sonneneinstrahlung zur Erwärmung von Wasser. Im Gegensatz zu herkömmlichen Kollektoren werden die wasserführenden Absorberelemente auf dem Dach des Modellhauses mit Hilfe eines ausgeklügelten Reflektors beidseitig von der Sonne beschienen. Die Kollektoren erwärmen das Wasser in einem 1.000 Liter fassenden Speicher im Keller des Hauses – dampfendes Badewasser aus dem Hahn gibt es so auch ohne Energieverbrauch und Abgase.

Zum Beheizen des 145 Quadratmeter großen Wohnraums in besonders extremen Kälteperioden reicht ein Energieaufwand, der einem Verbrauch von 30 Litern Heizöl pro Jahr entspricht. „Das Haus können sie theoretisch mit einer Kerze heizen“, verkündet Klaus Heidler mit einigem Stolz. Auch der Stromverbrauch der dreiköpfigen Familie, die das Haus seit seiner Fertigstellung bewohnt, liegt ungewöhnlich niedrig. Ein Beispiel dafür, welch hohes Einsparungspotential allein durch den Einsatz von handelsüblichen Haushaltsgeräten mit minimalem Energieverbrauch besteht.

Der 36 Quadratmeter große Solargenerator auf dem Dach des Hauses versorgt Waschmaschine, Kühlschrank und Fernseher. Ein Wechselrichter verwandelt den Solarstrom in den sonst üblichen Wechselstrom. 4.500 Kilowattstunden werden so jährlich zur Verfügung gestellt. Die Photovoltaikmodule sind mit Solarzellen aus monokristallinem Silizium ausgestattet, die hohe Wirkungsgrade bei der Nutzung der Sonneneinstrahlung aufweisen; allerdings sind sie immer noch sehr teuer.

Für Adolf Goetzberger, den „Vater“ des Solarhauses und ehemaligen Leiter des Instituts, ist das Freiburger Modell trotz seines Forschungscharakters und der hohen Baukosten von 1,6 Millionen Mark auch ein Haus für die Praxis. „Das Gesamt-Energiekonzept, die Niedrigstenergie-Architektur, die transparente Wärmedämmung zur Gebäudeheizung, die optimierte Wohnungslüftung, die ganzjährige solare Warmwasserversorgung und die photovoltaische Stromerzeugung sind bereits heute einsetzbar und nachahmenswert.“ Die aufwendige Wasserstofftechnologie zur Energiespeicherung aber wird sich langfristig nur für eine größere Siedlung lohnen.

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