: Last Exit: Effizienzrevolution!
■ Ernst-Ulrich von Weizsäckers Libretto für ökologische Innovation
Immer noch wird Umweltschutz fast ausschließlich als Kostenfaktor gesehen und im selben Atemzug mit betrieblichen Kosten für Industrieanlagen, Löhne, Rohstoffe und Steuern genannt. Zweifellos trifft dies für den traditionellen Umweltschutz zu. Wir verpesten beispielsweise Luft und Wasser mit Schadstoffen, um sie anschließend mit Hilfe teurer Filter- oder Kläranlagen zu reinigen und die Reststoffe als Sondermüll zu entsorgen. In Krisenzeiten mit härterer weltweiter Konkurrenz geraten deshalb gerade diese Umweltschutzinvestitionen in die Schußlinie. „Die Lösung der Krise wird im Licht der Laterne gesucht, weil es da schön hell ist. Doch genau dort ist ja auch die Krise entstanden – nicht nur die ökologische“, so Ernst-Ulrich von Weizsäcker in seinem neuen Buch. Von Weizsäcker will die politische Diskussion beeinflussen, Partei ergreifen für die Umwelt und die vielen kleinen Schritte – jenseits des Scheins der Laterne – aufzeigen, die man gehen kann und muß in Richtung auf einen neuen, ökologisch orientierten Fortschritt. Es bedarf keiner Schreckensszenarien; hinlänglich bekannt sind die Meldungen zum Ozonloch, zum Waldsterben oder der Ausrottung vieler Tier- und Pflanzenarten. Es bedarf einer ökonomischen und ökologischen Perspektive für das 21. Jahrhundert, die auch für weniger wohlhabende Länder nachvollziehbar ist und ihnen eine Möglichkeit bietet, am Wohlstand teilzuhaben, und gleichzeitig den Lebensstil der hochindustrialisierten Länder dahingehend verändert, daß er dabei ohne Schaden für die Umwelt kopiert werden kann und die Menschen es nicht als Wohlstandsverlust empfinden.
Am Anfang des Industrialisierungsprozesses stand die technische Revolution mit bahnbrechenden Erfindungen wie der Dampfmaschine, der Eisenbahn, dem mechanischen Webstuhl oder dem Automobil. Der Mensch als Beherrscher der Naturgewalten, enorme Produktivitätssteigerungen und Massenproduktion – noch heute basiert unser Wohlstand teilweise auf diesen traditionellen Industrien und Produktionsweisen. Der break-even-point für diese Art des Wirtschaftens ist jedoch überschritten:
– Umwelt und Rohstoffe sind keine beliebig konsumierbaren Güter. Sie sind endlich und nicht beliebig vermehrbar.
– Die Erhöhung der Arbeitsproduktivität zwingt zur Marktausweitung, der härtere weltwirtschaftliche Konkurrenzkampf zur Rationalisierung. Aber längst hält die Steigerung der Arbeitsproduktivität mit dem Erschließen neuer Märkte nicht mehr Schritt. Das Schreckgespenst jobless growth geht um.
Das Thema Umwelt hat auf Dauer nur dann eine Chance, wenn es gelingt, Fragen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes zu verknüpfen. Es gilt deutlich zu machen, „daß in Zeiten materieller Sättigung, steigender Arbeitslosigkeit und bedrohlich werdender ökologischer Verbrauchsbegrenzungen die Erhöhung der Ressourcenproduktivität volkswirtschaftlich mehr abwirft als die weitere aggressive Erhöhung der Arbeitsproduktivität. Dies gilt um so mehr, als die Umweltzerstörung ihrerseits ein großer volkswirtschaftlicher Verlust ist.“
Nicht von ungefähr wählte Ernst-Ulrich von Weizsäcker für sein Buch zum Umweltstandort Deutschland den Titel „Argumente gegen die ökologische Phantasielosigkeit“. Die große wirtschaftliche und ökologische Herausforderung können wir nur dann bewältigen, wenn wir alle unsere technischen und geistigen Ressourcen aktivieren und nutzen und bereit sind, auch einmal unorthodoxe Wege einzuschlagen. Was wurden die großen Erfinder der Vergangenheit, die Boschs, Daimlers, Steinbeis' und Siemens', anfangs belächelt, und dann waren sie die Väter bahnbrechender Neuerungen, die die Welt veränderten. Unsere Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure brauchen nur ein entsprechendes Ziel und der Fortschritt eine neue Richtung. Eine ökologische Steuerreform, die dazu beiträgt, daß Preise die ökonomische und ökologische Wahrheit sagen, ist ein Weg in diese Richtung. Es gibt z.B. nach Auffassung von Weizsäckers so gut wie keinen Bereich des Energieverbrauchs, bei dem nicht durch eine Mischung aus Verbesserungen der Technik, neuen Infrastrukturen, einem veränderten Angebot und ökologisch bewußtem Konsumentenverhalten ein Faktor vier an Energieproduktivität herausgeholt werden kann, und das in rund 40 bis 50 Jahren. Das alles ist bereits mit dem heutigen technischen Know-how machbar: Das Energiesparhaus reduziert bei gleicher Wohnqualität aufgrund verbesserter Wärmedämmung, Ausnutzung von Sonnenenergie und energieeffizienter Haushaltgeräte den CO2- Ausstoß auf ein Viertel. Oder die neue Automobilgeneration: Ein Dreilitermotor ist längst technisch machbar, er ist langlebiger, und es werden weniger Rohstoffe verwendet (Reduzierung um den Faktor 10), die zudem hochwertig wiederverwendbar sind.
Wir dürfen uns jedoch nicht nur auf die Veränderung der Produkte konzentrieren. Es geht um makroökonomische und gesellschaftliche Veränderungen wie Prozeßinnovationen, neue Siedlungsstrukturen, einen Übergang zu erneuerbaren Rohstoffen und eine weitergehende Schließung von Stoffkreisläufen, die vom Menschen ausgehen. Für die Wirtschaft bedeutet dies eine stärkere Kundenorientierung und die Hinwendung zu neuen Servicekonzepten: Anhand der Verbindung von modernen Dienstleistungssystemen mit langlebigen reparaturfreundlichen Produkten und der Entwicklung von Multifunktionsgeräten können neue Märkte erschlossen und qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen und gesichert werden. Von diesen neuen arbeitsintensiven Arbeitsplätzen werden vor allem Handwerk und Mittelstand profitieren. Dienstleistungsarbeitsplätze sind zudem weniger verlagerungsfähig als Produktionsarbeitsplätze. Die verbleibenden technologieintensiven Arbeitsplätze sind wiederum an die Dienstleistung geknüpft.
Anhand ausgewählter Beispiele aus der Praxis zeigen Ernst-Ulrich von Weizsäcker und sein Team vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie auf, wie ein Stadtverkehr ohne Autos und der Güterverkehr der Zukunft aussehen können. Sie zeigen Möglichkeiten für eine rationelle Energienutzung durch Einsparkraftwerke und Contracting, das Energiesparen zum Geschäft macht. Die Nutzung der Sonnenenergie als Einstieg in eine Energiewirtschaft auf der Basis regenerativer Energien. Die Optimierung der Materialintensität, die durch eine Art Ressourcenmanagement zum sparsamen Umgang mit Rohstoffen führen kann und sich für die Unternehmen auch rechnet. Bis hin zu der Vision eines neuen Wohlstandsmodells, das zeigt, daß weniger mehr sein kann.
Es muß endlich ein Anfang gemacht werden. Das von-Weizsäcker-Institut legt mit diesem Buch erstmals das Libretto für eine ökologische Innovationspolitik vor. Siegmar Mosdorf
Ernst-Ulrich von Weizsäcker: „Umweltstandort Deutschland: Argumente gegen die ökologische Phantasielosigkeit“. Berlin/Basel/ Boston, Birkhäuser Verlag, Basel, 1994, 344 Seiten, DM 19,80.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen